„Landwirten gehen bald die Pflanzenschutzmittel aus“

Der deutschen Landwirtschaft droht in den nächsten fünf Jahren ein massiver Verlust bewährter Pflanzenschutzmittel. In wichtigen Ackerkulturen wie Weizen wären Pflanzenkrankheiten nur noch eingeschränkt oder in extremen Fällen gar nicht mehr zu bekämpfen. Hintergrund dafür ist das 2009 von der Europäischen Union beschlossene sogenannte Pflanzenschutzpaket, mit dem die Zulassung und Anwendung von Pflanzenschutzmitteln komplett neu geregelt wurde, erläuterte der Industrieverband Agrar e. V. (IVA) kürzlich in Berlin.

„Nach etwas über vier Jahren Pflanzenschutzpaket müssen wir ernüchtert feststellen: die Bürokratie ist gestiegen, die Behörden sind überlastet und Innovationen werden behindert statt befördert. Und noch düsterer ist der Blick nach vorne: wenn die EU bei der Ausgestaltung des neuen Rechts ohne Rücksicht auf die landwirtschaftliche Praxis vorgeht, droht bis Ende des Jahrzehnts ein massiver Verlust an wirksamen Lösungen im Pflanzenschutz. Um diese Verluste durch neue Produkte auszugleichen, sind die regulatorischen Hürden zu hoch und die Zeit zu knapp“, erklärte Dr. Helmut Schramm, Präsident des IVA.

Ein Expertenteam des IVA hat Szenarien erarbeitet, die beziffern sollen, was mögliche Wirkstoff-Verluste in Folge der EU-Zulassungsverordnung 1107/2009 für die in Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmittel in wichtigen Anbaukulturen bedeuten würden.

Die Ergebnisse haben selbst die Fachleute überrascht: Es droht, dass von den zehn heute meistverkauften Getreidefungiziden neun aus dem Markt verschwinden würden; gerade einmal ein Viertel der heute eingesetzten Produkte wäre Ende des Jahrzehnts noch übrig. Auch bei Mitteln gegen Krautfäule in Kartoffeln würde die Zahl der in Deutschland verfügbaren Pflanzenschutzmittel halbiert. Bei den Kartoffelherbiziden wäre in etwa fünf Jahren ebenfalls nur noch die Hälfte der Produkte auf dem Markt, wodurch die Probleme zur Vermeidung von Resistenzen weiter verschärft würden.

„Zahlreiche bewährte Wirkstoffe stehen in den kommenden Jahren zur Wiederzulassung an. Wenn die EU-Kommission bei den Kriterien für die sogenannten endokrinen Disruptoren wissenschaftliche Maßstäbe für die Risikobewertung außer Acht lassen und die Belange der Landwirtschaft keine Berücksichtigung finden würden, steht zu befürchten, dass wichtige Produkte vom Markt gefegt werden könnten. Für diese Situation gibt es keinen Plan B, da die Verluste durch neue, innovative Produkte nicht ausgeglichen werden könnten“, so Schramm weiter. In Europa dauert die Entwicklung eines neuen Pflanzenschutzwirkstoffs im Durchschnitt zehn Jahre und erfordert Investitionen von rund 200 Millionen Euro.

Während das Agribusiness weltweit boomt und sich die Ausgaben für Forschung und Entwicklung zwischen 1995 und 2013 mehr als verdoppelt haben, gehen die Investitionen in neue Pflanzenschutzmittel für den europäischen Markt zurück. So sind in der EU die Forschungsausgaben nach einer Untersuchung der Beratungsgesellschaft Phillips McDougall zwischen 2000 und 2010 sogar um 15 Prozent gesunken. Die Autoren der Studie erklären diesen Rückgang vor allem mit den im weltweiten Vergleich besonders hohen regulatorischen Hürden in Europa.

„Die EU hat zuletzt viel dazu beigetragen, das Klima für Investitionen in neue Pflanzenschutzmittel zu verschlechtern, etwa indem bewährte Insektizide aus kurzfristigen politischen Erwägungen vom Markt genommen wurden. Aber auch die Behörden leiden unter den neuen administrativen Anforderungen und der Unsicherheit. So stauen sich derzeit noch fast 200 Zulassungsanträge bei den deutschen Behörden – Anträge für Pflanzenschutzmittel, die somit der Landwirtschaft nicht zur Verfügung stehen. Das System steuert auf den Kollaps zu“, kritisierte Schramm.

www.iva.de

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