Isidor Reiling (1868–1940) betrieb zusammen mit seinem Bruder Hermann eine international erfolgreiche Kunst- und Antiquitätenhandlung in Mainz am Flachsmarkt 2. Seine Frau Hedwig (1880– 1942) stammte aus der angesehenen, weit verzweigten jüdischen Frankfurter Kaufmannsfamilie Fuld. Ihre Tochter Netty (1900–1983) wurde mit dem Erscheinen ihres ersten Buches unter dem Namen Anna Seghers berühmt: Für den „Aufstand der Fischer von St. Barbara“ wurde ihr auf Vorschlag von Hans Henny Jahnn 1928 der Kleist-Preis verliehen.
In seinem Vortrag „Die Verfolgung und Beraubung der Familie Seghers-Reiling und ihre Spuren in der Literatur” berichtet Hans Berkessel am Mittwoch, 5. Februar, 19 Uhr im Ratssaal der Stadt Mainz vom Schicksal der Familie in der Zeit des Nationalsozialismus. Im Anschluss liest die Staatsschauspielerin Gaby Reichardt aus Anna Seghers Erzählung „Der Ausflug der toten Mädchen“. Der Eintritt zur Veranstaltung ist frei.
Das Geschäftshaus am Flachsmarkt 2/4 wurde in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 beschädigt und später „arisiert“. Auch die Reilings mussten nach dem Pogrom ihren Schmuck und ihr Silberbesteck abliefern und ihre Wohnung verlassen: Sie wurden in einem so genannten „Judenhaus“ auf engstem Raum mit anderen Familien zusammengepfercht. Hedwig und Isidor Reiling lebten zuletzt in der Taunusstraße 31, Flora und Hermann in der Kaiserstraße 32, direkt neben der Gestapo-Zentrale (Nr. 31). Am 30. März 1942 wurde Hedwig Reiling nach Piaski bei Lublin/Polen deportiert, wo sich ihre Spur verliert. Der ältere Bruder Hermann Reiling starb am Tag des Transports; seine Frau Flora wurde am 27. September 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 21. Februar 1943 starb.
Anna Seghers/Netty Reiling, selbst als Jüdin und linke Schriftstellerin doppelt bedroht, hatte sich auf ihrer Flucht über Paris und Marseille nach Mexiko vergeblich bemüht, ihre Mutter zu retten. In ihrer Erzählung „Der Ausflug der toten Mädchen“ setzte sie ihr ein literarisches Denkmal.
Die Veranstaltung des Vereins für Sozialgeschichte Mainz e. V., der Anna-Seghers-Gesellschaft Berlin und Mainz e. V., des Kulturdezernats der Landeshauptstadt Mainz, der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz, des Fördervereins Projekt Osthofen e. V. und von „Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V.“/Rhein-Main findet statt im Rahmen des Begleitprogramms zur Ausstellung „Legalisierter Raub“, die der Hessische Rundfunk und das Fritz Bauer Institut bis zum Donnerstag, 5. Juni, in der Gedenkstätte KZ Osthofen zeigen. Die Ausstellung ist von Dienstag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr, Samstag, Sonntag und an Feiertagen von 13 bis 17 Uhr geöffnet. An Karfreitag und Ostersonntag bleibt sie geschlossen.
Gefördert wird die Ausstellung vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst und der Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen. Die regionale Präsentation wird unterstützt von der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz, dem Förderverein Projekt Osthofen e. V., der Sparkasse Worms-Alzey-Ried, der AG Juden im Alzeyer Land im Altertumsvereins Alzey und Umgebung e. V., der Anna-Seghers-Gesellschaft Berlin und Mainz e. V., dem Dominikanerkloster St. Paulus Worms, dem Evangelisches Dekanat Worms-Wonnegau, von den Evangelischen Dekanaten Alzey und Oppenheim/Fachstelle Gesellschaftliche Verantwortung, von der Evangelische Stadtkirchenarbeit Worms, vom Forum Anwaltsgeschichte e.V., von Gegen Vergessen – Für Demo-kratie e. V. / Rhein-Main, Jugendhaus Oppenheim, Katholisches Bildungswerk Rheinhessen, Kulturdezernat der Landeshauptstadt Mainz, Landesarchiv Speyer, Landtag Rheinland-Pfalz, Museum Alzey, Museum der VG Eich in Gimbsheim, Oppenheimer Geschichtsverein e. V., Stadtarchiv Worms, Verein für Sozialge-schichte Mainz e. V., Warmaisa – Gesellschaft zur Förderung und Pflege jüdi-scher Kultur in Worms e. V., Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN in Mainz/Pfarrstelle für Landwirtschaftliche Familienberatung in Rheinhessen.
Begleitprogramm und weitere Informationen:
www.fritz-bauer-institut.de/
www.hr-online.de
www.gedenkstaette-osthofen-rlp.de
www.projektosthofen-gedenkstaette.de