Die Diskussion um die „aktive Sterbehilfe“ ist wieder aufgeflammt. Haben unheilbar kranke Menschen das Recht auf „assistierten Suizid“ – also darauf, dass Mediziner ihnen auf Wunsch ein tödliches Mittel verabreichen? Der Moraltheologe Professor Dr. Gerhard Höver von der Universität Bonn ist Mitherausgeber eines neuen, grundlegenden Buches zum Thema. Er sagt: Am Ende ihres Lebensweges brauchen Menschen keine Giftspritze, sondern individuelle Hilfe – zum Beispiel durch das neue Konzept der „Spiritual Care“.
Eine höchst schwierige Frage kommt wieder auf die Tagesordnung: Wenn unheilbar kranke Menschen ihr Leben selbst beenden wollen – darf die Medizin sie dabei aktiv unterstützen, ihnen zum Beispiel ein tödliches Mittel verabreichen? Ein Zugeständnis an die Willensfreiheit, sagen die einen. Ein ethischer Dammbruch, sagen die anderen. Professor Dr. Gerhard Höver vom Moraltheologischen Seminar der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn ist Experte für dieses Thema. Mit seinem Team hat er dazu das neue Grundlagenwerk „Menschliche Würde und Spiritualität in der Begleitung am Lebensende“ herausgegeben: Statt für gesetzlich geregelte Sterbehilfe plädiert er dafür, sterbenden Menschen durch wirksame Schmerz- und Beruhigungsmittel, aber auch geistig und seelisch beizustehen.
Erstmals in deutscher Sprache: die US-Expertin Christina Puchalski
22 Autoren haben für das Grundlagenwerk Beiträge geliefert – Theologen und Pflegewissenschaftler, Beschäftigte aus Hospizen und Palliativstationen, aber auch Organisationsexperten und Vertreter aus Islam, Judentum und Buddhismus. Besonders stolz sind die Herausgeber „darauf, dass für das Buch zum ersten Mal ein Aufsatz von Christina Puchalski ins Deutsche übersetzt wurde“: Die amerikanische Ärztin ist nach Prof. Hövers Angaben „die kommende Größe in der weltweiten Hospizbewegung“, vergleichbar nur mit der weltberühmten Autorin Elisabeth Kübler-Ross.
„LIFE“ (Leben) heißt Puchalskis Konzept vom Tun des Menschen am Ende seines Lebensweges. Wie Prof. Höver erläutert, stehen die Buchstaben für „Life Review“, „Identity“, „Forgiveness“ und „Eternity“: Lebensrückschau, Identität, Vergebung, Ewigkeit. Das bedeutet: Der Sterbende blickt auf sein Leben zurück. Er fragt sich, ob er sich darin „selbst wiederfindet“ – ob er zum Beispiel selbst- oder fremdbestimmt gelebt hat. Er sucht nach unbewältigten Problemen und möchte sie lösen, indem er anderen Menschen verzeiht oder sie um Verzeihung bittet. Und er fragt sich, wie es weitergeht. Kommt da etwas nach dem Tode? Was bleibt von mir, wenn ich gegangen bin? Aufgabe der Sterbebegleitung ist laut Puchalski, den Menschen bei diesem Frageprozess zur Seite zu stehen – vor allem durch Zuhören und durch Verständnis.
Für solche Konzepte der Sterbebegleitung gibt es im Deutschen noch kein Wort. „Spiritual Care“ heißt die Idee im Englischen (etwa: geistig-seelische Hilfe). Das „Spirituelle“ darin hat zunächst nichts mit „organisierter Religion“ zu tun, stellt Prof. Höver klar. Es bedeute stattdessen, sterbenden Menschen beizustehen, indem man nicht mehr nur wie bisher versucht, die Leiden ihres Körpers zu lindern – sondern auch, die ganz verschiedenartigen Fragen zu beantworten, die ihnen auf der Seele liegen oder ihren Geist beschäftigen. „Den Leitfaden gibt der Sterbende vor“, beschreibt es Prof. Höver. „Die menschliche Seele ist eine Burg mit vielen Zimmern. Nur der Mensch selbst entscheidet, wer wo eingelassen wird.“
Individuelle Hilfe statt gesetzlicher Einheitsverfahren
Um sich in dieser Burg zurechtzufinden, wollen die Experten nun erforschen, was Patienten genau meinen, die äußern, „sterben zu wollen“. Wie Prof. Höver erläutert, sind „solche »Todeswünsche« dynamisch. Sie bedeuten zum Beispiel den Wunsch, über genau diese spirituellen Fragen ins Gespräch zu kommen.“ Der Theologe plädiert daher für eine gesetzliche Regelung, die Ärzten wirksamere Hilfe gegen Schmerzen und Ängste erlaubt – mit Medikamenten, deren Gabe derzeit zu starken Beschränkungen unterliege. „Palliative Sedierung“ sei „auf vielfältige Weise möglich – ebenso, wie der Sterbende selbst ja einzigartig ist“. Aktive Sterbehilfe hingegen, so kritisiert der Wissenschaftler der Universität Bonn, brauche immer ein Einheitsverfahren. Ein wichtiger Unterschied: „Die palliative Sedierung kann die verbleibende Zeit lebenswerter machen. Sie kann immer noch lebensorientiert arbeiten. Der assistierte Suizid hingegen muss todsicher sein.“
Publikation: Norbert Feinendegen, Gerhard Höver, Andrea Schaeffer, Katharina Westerhorstmann (Hgg.): Menschliche Würde und Spiritualität in der Begleitung am Lebensende. Impulse aus Theorie und Praxis. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2014, 536 S., ISBN 978-3-8260-5447-1, 49,80 Euro
Quelle/Text/Redaktion: www.uni-bonn.de