Rückenwind für die AMNOG-Anlaufphase

Mit dem Arzneiverordnungs-Report 2013 (AVR) liegen erstmals Daten zur finanziellen Wirkung der frühen Nutzenbewertung neuer Medikamente nach dem Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) vor. „Das AMNOG wirkt“, betonen die AVR-Herausgeber. Aber die Anlaufphase dauert länger als ursprünglich geplant. Der AOK-Bundesverband schlägt deshalb vor, den gesetzlichen Flankenschutz um zwei Jahre zu verlängern, bis das Instrument der Nutzenbewertung seine volle Wirkung entfaltet hat. Dabei geht es um ein Preismoratorium und den erhöhten Herstellerabschlag. Beide Regelungen laufen laut Gesetz zum 31. Dezember 2013 aus.

Nach einem Rückgang der Arzneimittelausgaben 2011 haben die Krankenkassen 2012 wieder mehr Geld für Medikamente auf den Tisch legen müssen. Nach den vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) für den AVR erhobenen und analysierten Daten sind die Ausgaben um 2,6 Prozent auf 30,6 Milliarden Euro gestiegen. „Das liegt daran, dass die Menge der verordneten Medikamente steigt und dass Ärzte vermehrt teure Mittel verschrieben haben“, erläutert WIdO-Arzneimittelexperte Helmut Schröder. Einen ähnlich moderaten Anstieg aufgrund dieser sogenannten Struktureffekte erwartet er auch für das laufende Jahr. Doch für 2014 prognostizieren die WIdO-Analysten einen Ausgabenschub um 8,9 Prozent. Mehr als zwei Drittel dieses Schubs weisen sie dem vorgesehenen Auslaufen des Preismoratoriums (drei Prozent) sowie der anstehenden Absenkung des Herstellerabschlags von 16 auf sechs Prozent zu (3,8 Prozent).

Gegen einseitige Lastenverteilung bei AMNOG-Umsetzung

„Das AMNOG ist kein Gesetz wie viele andere, sondern quasi der Einbau des neuen Prinzips der Nutzenbewertung in die deutsche Arzneimittelversorgung bei laufendem Betrieb. Die Etablierung dieses wichtigen Prinzips erfordert eine ausreichend lange Übergangszeit, bis sich das AMNOG auch ökonomisch selbst trägt. Faktisch würden ansonsten in den nächsten Jahren allein die Versicherten in die Etablierung der Nutzenbewertung ’nvestieren'“, sagt Uwe Deh, Geschäftsführender Vorstand des AOK-Bundesverbandes. „Die Einführung des Prinzips der Nutzenbewertung würde mit sehr hohen Ausgabensteigerungen im Arzneimittelbereich zusammenfallen. Um eine solche einseitige Lastenverteilung zu verhindern, sollten auch die Hersteller weiterhin einen relevanten Beitrag leisten. Pragmatisch und für alle Beteiligten planungssicher wäre es, dies durch eine zweijährige Verlängerung des Herstellerrabatts von 16 Prozent und des derzeitigen Preismoratoriums umzusetzen. Das wäre der beste Rückenwind für die Nutzenbewertung.“

Eine Verlängerung entspräche der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers. Denn der damalige Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler hatte die Preise für Medikamente, für welche die gesetzlichen Krankenkassen keinen Festbetrag bezahlen, zum 1. August 2010 auf dem Stand von 2009 eingefroren. Zudem wurde der Herstellerabschlag von sechs auf 16 Prozent angehoben. Beide Maßnahmen sollten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) finanziell Luft verschaffen, bis das mit dem AMNOG eingeführte Instrument der Nutzenbewertung für patentgeschützte Arzneimittel Wirkung zeigt.

Mit dem AVR 2013 liegen jetzt erstmals Daten für die finanzielle Wirkung des AMNOG vor. Sie belegen: Das AMNOG wirkt, wird aber noch Zeit brauchen, bis es seine volle Kraft entfaltet hat. Die Bewertung des zusätzlichen Nutzens eines neuen Medikamentes gegenüber der Standardtherapie und die sich anschließenden Preisverhandlungen zwischen Krankenkassen und Herstellern haben laut AVR im vergangenen Jahr zu Minderausgaben von 120 Millionen Euro geführt. Rund zwei Milliarden Euro hatte die Bundesregierung 2010 als jährliches AMNOG-Sparziel prognostiziert. Dass zwischen dieser Planzahl und der Praxis noch eine riesige Lücke klafft, liegt daran, dass die Umsetzung der im AMNOG vorgesehenen Maßnahmen in funktionierende und rechtssichere Verfahren länger gedauert hat als geplant. Die frühe Nutzenbewertung ist Mitte 2011 angelaufen – anderthalb Jahre nach Inkrafttreten des AMNOG. Mit dem Einbeziehen des Bestandsmarkts hat der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), das oberste Beschlussgremium von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen, erst im April dieses Jahres beginnen können. Der Unparteiische Vorsitzende des GBA, Josef Hecken, geht sogar davon aus, dass die Nutzenbewertung erst „in drei bis fünf Jahren“ ihre volle Wirkung entfalten wird. Dann könne man mit Einsparungen von bis zu einer Milliarde Euro jährlich rechnen.

Die Spreu vom Weizen trennen

Für Hecken wie Deh steht in puncto AMNOG jedoch nicht das Sparen im Vordergrund. „Es geht in erster Linie darum, bei neuen Medikamenten die Spreu vom Weizen zu trennen“, betonten beide bei der Vorstellung des neuen Arzneiverordnungs-Reports. Dies gelinge mit der frühen Nutzenbewertung bisher erfreulich gut. Von 48 Wirkstoffen, die bisher das Verfahren der frühen Nutzenbewertung durchlaufen haben, erhielten nach Darstellung von GBA-Chef Hecken lediglich neun die Bestnote „beträchtlicher Zusatznutzen“, 17 Arzneimitteln wurde immerhin noch ein geringer Zusatznutzen attestiert.  „Die Heilsversprechen bei der Markteinführung neuer Medikamente werden in den meisten Fällen nicht eingehalten“, sagte Hecken.

Nach wie vor liegt es aber auch in der Hand der Ärzte, therapeutisch wie ökonomisch sinnvoll zu verordnen. Die AVR-Herausgeber Prof. Ulrich Schwabe und Dr. Dieter Paffrath haben auch für die inzwischen 29. Ausgabe ihres Standardwerkes berechnet, wie viel Geld die Krankenkassen weniger für Medikamente ausgeben müssten, wenn alle Einsparmöglichkeiten genutzt würden. Den Löwenanteil machen dabei die sogenannten Analogpräparate aus, bei denen es sich um geringfügige Variationen vorhandener Medikamente handelt, die es Pharmaunternehmen erlauben, finanziell besonders lukrative Produkte länger vor Nachahmerprodukten (Generika) zu schützen. Allein der konsequente Verzicht auf das Verschreiben dieser teuren Analogpräparate würde laut Schwabe und Paffrath mit 2,5 Milliarden Euro zu Buche schlagen.

Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, sieht hier die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) in den Ländern in der Bringschuld: „KBV und KVen informieren die Ärzte immer noch nicht ausreichend über die Marketingstrategien der pharmazeutischen Unternehmen.“ Ludwig ärgert sich darüber, dass es den Unternehmen gelinge, „durch Analogpräparate mit geringem therapeutischem Stellenwert Umsätze im dreistelligen Millionenbereich zu erzielen“. Dieses Geld stehe dann für echte Innovationen, die den Patienten tatsächlich besser helfen, nicht mehr zur Verfügung. Auch der Chefpharmakologe der deutschen Ärzteschaft spricht sich deshalb für eine konsequente Aufarbeitung des Bestandsmarktes für patentgeschützte Medikamente aus.

Viel Lob gab es von Schwabe und Paffrath für die Arzneimittelrabattverträge. 2012 haben die gesetzlichen Krankenkassen dank der Generika-Verträge 2,1 Milliarden Euro weniger für die Nachahmerprodukte ausgeben müssen. Die realisierten Einsparungen liegen damit deutlich über dem von den AVR-Experten in den Vorjahren berechneten Wirtschaftlichkeitspotenzial im Generikabereich. Rabattverträge decken inzwischen gut die Hälfte des Generikamarktes ab.

 

Warum manche Sterne so schön sterben

Der Calabash-Nebel So wie der hier gezeigte Calabash-Nebel könnte IRAS 15445 in einigen hundert Jahren aussehen. Der Nebel ist ungefähr ein Lichtjahr lang.Foto:  © NASA/ESA & Valentin Bujarrabal (Observatorio Astronomico Nacional, Spanien)
Der Calabash-Nebel
So wie der hier gezeigte Calabash-Nebel könnte IRAS 15445 in einigen hundert Jahren aussehen. Der Nebel ist ungefähr ein Lichtjahr lang.Foto: © NASA/ESA & Valentin Bujarrabal (Observatorio Astronomico Nacional, Spanien)

Am Ende ihres Lebens verwandeln sich Sterne zu den wohl schönsten Objekten im Weltall: Um ihren ausgebrannten Kern formieren sich bizarre Wolken aus leuchtendem Gas, die so genannten planetarischen Nebel. Völlig ungeklärt war bislang die Frage, wie diese symmetrischen Gebilde entstehen. Astronomen der Universität Bonn haben nun zusammen mit Kollegen aus Schweden und Australien eine mögliche Antwort vorgelegt: Demnach scheinen gewaltige Magnetkräfte der Grund dafür zu sein, dass die Sterne in Schönheit sterben.

Die Wissenschaftler hatten einen 230.000 Lichtjahre entfernten Stern unter die Lupe genommen. Der Himmelskörper mit dem prosaischen Namen IRAS 15445-5449 ist momentan im Begriff, sich in einen planetarischen Nebel zu verwandeln. Bei ihren Beobachtungen machten die Astronomen eine überraschende Entdeckung: „In unseren Daten finden wir klare Anzeichen für einen Jet aus äußerst schnellen Gaspartikeln“, erläutert Andrés Pérez Sánchez, der momentan an der Universität Bonn promoviert.

Ein Jet energiereicher Teilchen Ein Jet energiereicher Teilchen (im Bild Magenta) gestaltet die Umgebung des Sterns IRAS 15445-5449. Der Stern selbst wird durch den Staub um ihn herum verdeckt. © Foto: E. Lagadec/ESO; A. Pérez Sánchez
Ein Jet energiereicher Teilchen
Ein Jet energiereicher Teilchen (im Bild Magenta) gestaltet die Umgebung des Sterns IRAS 15445-5449. Der Stern selbst wird durch den Staub um ihn herum verdeckt. © Foto: E. Lagadec/ESO; A. Pérez Sánchez

Ein Jet ist ein gerichteter Gastrom, der wie eine Nadel vom Himmelskörper weg weist. Der Jet von IRAS 15445-5449 ist extrem energiereich – die Partikel in ihm bewegen sich nahezu mit Lichtgeschwindigkeit. Es ist das erste Mal, dass ein solch energiereicher Jet bei einem alternden Stern von der Größe der Sonne beobachtet wurde. Nach der Geschwindigkeit der Gaspartikel zu schließen, müssen gewaltige Kräfte am Werke sein: „Die Teilchen in dem Jet bewegen sich auf einer spiralförmigen Bahn durch ein äußerst starkes Magnetfeld“, erklärt Studien-Koautor Dr. Wouter Vlemmings vom Onsala-Observatorium in Schweden.

Sturzgeburt im All

Der Jet bläst die Gasteilchen ins All, die später den planetarischen Nebel um den sterbenden Stern formen. „Es wird wahrscheinlich nur wenige hundert Jahre dauern, bis dieser Prozess abgeschlossen ist und der Nebel aufgrund der Reststrahlung des Sterns zu leuchten beginnt“, vermutet die australische Astronomin Jessica Chapman. Für Astronomen wäre das ein äußerst kurzer Zeitraum – eine wahre Sturzgeburt im All.

Planetarische Nebel entstehen aus Sternen mit einer ähnlichen Masse wie der Sonne. Wenn ein derartiger Stern verglüht, bleibt ein heißer Kern. Die Strahlung, die von diesem Kern ausgeht, ist so intensiv, dass sie das umgebende Gas zum Leuchten bringt. Ungeklärt war bislang, wie dieser Gasnebel seine bizarre Form erhält. Dafür könnte der hochenergetische Jet verantwortlich sein.

Ob auch unsere Sonne in vielen Milliarden Jahren in der Schönheit eines planetarischen Nebels sterben wird, wissen die Forscher bislang noch nicht. Denn es ist rätselhaft, wie ein relativ kleiner Himmelskörper wie die Sonne einen derart energiereichen Jet überhaupt bilden kann. „Möglicherweise hat IRAS 15445-5449 einen Begleiter, den wir mit unseren Teleskopen nicht sehen können“, spekuliert Andrés Pérez Sánchez. „Er könnte für die Entstehung des Jets verantwortlich sein.“

Die Wissenschaftler hoffen nun unter anderem auf das neue ALMA-Teleskop in den chilenischen Anden. Es könnte möglicherweise Licht ins Dunkel bringen. Andrés Pérez Sánchez: „Mit ALMA und zukünftigen Teleskopen wie dem geplanten Square Kilometer Array werden wir hoffentlich herausfinden können, welche Sterne solche Jets formen und wie sie dies machen.“

Publikation:
A synchrotron jet from a post-asymptotic giant branch star; Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, Oxford University Press (http://dx.doi.org/10.1093/mnrasl/slt117). Andres Pérez Sánchez (Argelander-Institut für Astronomie, Bonn University, Germany), Wouter Vlemmings (Onsala Space Observatory, Chalmers), Daniel Tafoya (Onsala Space Observatory, Chalmers and Centro de Radioastronomia y Astrofisica, UNAM, Morelia, Mexico) and Jessica Chapman (CSIRO, Australia).

 

Wie verlässlich sind Zeugenaussagen?

Wie gefährlich ist ein Straftäter nach Verbüßung einer langen Haftstrafe? Beruht eine belastende Zeugenaussage bei einem Sexualdelikt auf einem schlimmen Erlebnis, ist sie erfunden oder durch unsachgemäße Befragung suggeriert? Solche Fragen versuchen Psychologische Sachverständige in Gerichtsverfahren zu beantworten. Von Mittwoch bis Freitag, 18. bis 20. September, treffen sich mehr als 160 Wissenschaftler, Praktiker und Studierende zur Tagung der Fachgruppe Rechtspsychologie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie im Hauptgebäude der Universität Bonn. Die Medien sind zur Berichterstattung eingeladen.

Journalisten können sich im Tagungsbüro gegen Vorlage eines Presseausweises für die Tagung akkreditieren. Sie bekommen dann ein Namensschild. Das wissenschaftliche Programm umfasst alle wichtigen rechtspsychologischen Themen wie Begutachtung, Diagnostik von Pädophilie und Psychopathie, Ursachen von Delinquenz, Strafvollzug, polizeiliche Vernehmung und Verhandlung.

Symposium zur Beurteilung des Wahrheitsgehaltes von Aussagen

Ein besonderes Highlight ist das internationale Symposium „Psychological contributions to problems of deception detection in the legal system“ mit führenden europäischen Forschern auf diesem Gebiet, das am Donnerstag, 19. September, von 14.30 bis 18 Uhr im Festsaal des Uni-Hauptgebäudes stattfindet. Im Mittelpunkt dieses Symposiums steht die Glaubhaftigkeitsbegutachtung: Die Bewertung des Wahrheitsgehaltes von Aussagen wird in der Psychologie seit mehr als 100 Jahren erforscht. Führende Experten stellen den aktuellen Forschungsstand zu den Möglichkeiten und Grenzen der verschiedenen Verfahren vor. In der Kaffeepause von 16 bis 16.30 Uhr haben Journalisten die Möglichkeit, die Wissenschaftler dazu zu befragen.

Informationen zum Masterstudium im Fach Rechtspsychologie

Große Aufmerksamkeit wird auf dieser Tagung dem wissenschaftlichen Nachwuchs gewidmet. Neben der Verleihung mehrerer Preise für Jung-Wissenschaftler können sich Studierende mit Interesse an einem Masterstudium im Fach Rechtspsychologie am Freitag, 20. September, von 9 bis 10.30 Uhr im Hörsaal IV des Uni-Hauptgebäudes bei einer öffentlichen Infoveranstaltung über die Studienangebote in Bonn, Berlin, Maastricht, Konstanz und Mainz umfassend informieren.

Informationen zum Master of Science Rechtspsychologie: http://www.master-rechtspsychologie.de

Informationen zur Tagung: http://www.rechtspsychologie-tagung.de/

 

Forscher lassen Hepatitis B-Virus auferstehen

Die Hepatitis B zählt zu den verbreitetsten gefährlichen Viruserkrankungen weltweit. Wissenschaftler des Bonner Universitätsklinikums und der Universität Gießen haben in Proben einer Gelbohr-Fledermaus ein Virus entdeckt, das mit dem Hepatitis B-Erreger eng verwandt ist und das Potential besitzt, Leberzellen des Menschen zu infizieren. Die Forscher stellten fest, dass die herkömmliche Hepatitis B-Impfung gegen dieses Virus nicht wirkt. Die Ergebnisse werden in der aktuellen Ausgabe der Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) vorgestellt.

Hepatitis B ist eine Infektionskrankheit, die zu Leberentzündung und Krebs führen kann. Die Übertragung des Virus erfolgt vor allem sexuell, über Blut und von der infizierten Mutter auf ihr Neugeborenes während der Geburt. Mit rund 240 Millionen chronisch infizierten Menschen weltweit zählt die Hepatitis B zu den häufigsten Viruserkrankungen. „Rund 620.000 Tote jährlich werden mit Hepatitis-B-Infektionen in Zusammenhang gebracht“, sagt Dr. Jan Felix Drexler vom Institut für Virologie des Universitätsklinikums Bonn. Mysteriös war bislang, woher das Hepatitis B-Virus stammt.

Um der Herkunft des Virus auf die Spur zu kommen, nahmen die Virologen des Bonner Universitätsklinikums mit ihren Kollegen von der Universität Gießen und Forschern aus weiteren Ländern Blut- und Leberproben von Tausenden Fledermäusen aus Panama, Brasilien, Gabun, Ghana, Papua-Neuguinea, Australien und Deutschland. „Fledermäuse leben seit vielen Millionen Jahren auf engstem Raum in Kolonien zusammen. Das begünstigt die Übertragung von Krankheitserregern und macht sie zu idealen Modellen für die Untersuchung zur Herkunft von Viren“, sagt Prof. Dr. Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn.

Drei Virenarten sind mit dem Hepatitis B-Erreger eng verwandt

Die Wissenschaftler testeten die Fledermausproben auf virales Erbgut des Hepatitis B-Erregers. Von den 3.080 beprobten Fledermäusen wurden die Forscher bei zehn Individuen fündig. „Wir haben drei verschiedene Virusarten gefunden, die dem Hepatitis B-Virus des Menschen sehr ähnlich sind“, sagt Dr. Drexler. Die Bonner und Gießener Forscher stellten eine künstliche Kopie des Erbguts der verschiedenen Virenarten her, um sie anschließend für weitere Tests zu vermehren. „Wir haben die Hepatitis B-Virus-Spezies quasi wiederauferstehen lassen“, sagt Privatdozent Dr. Dieter Glebe vom Institut für Medizinische Virologie der Justus-Liebig-Universität Gießen und Leiter des Nationalen Referenzzentrums für Hepatitis B- und Delta-Viren.

Nun war die Frage, ob die in den Fledermäusen entdeckten Viren tatsächlich auch das Potential haben, die menschliche Leber infizieren zu können. Da jedoch infektiöse Hepatitis-B-Viren im Labor nur sehr schwer zu erzeugen sind, mussten die Gießener Virologen einen speziellen Trick anwenden. Hierfür bedienten sie sich des Hepatitis Delta Virus, das die Hülle des Hepatitis-B-Virus benutzt, um natürlicherweise die menschliche Leber zu infizieren. Im Labor erzeugten die Virologen daher veränderte Hepatitis Delta Viren, die nun die Hüllen der neu entdeckten Fledermaus-Viren enthielten. Diese wurden daraufhin zu menschlichen Leberzellen gegeben, die die Forscher im Labor kultivierten. Nur die Viren aus einer Gelbohr-Fledermaus (Uroderma bilobatum) konnten tatsächlich auf diese Weise zu einer Infektion der menschlichen Leberzellen beitragen, während die beiden anderen Fledermaus-Viren zu keiner Infektion führten. „Damit ist der Beweis erbracht, dass dieses eine Virus tatsächlich von der Fledermaus auf den Menschen überspringen könnte“, sagt Dr. Drexler.

Hepatitis B-Standardimpfung wirkt nicht gegen das Fledermausvirus

Weitere Tests mit dem für Menschen potentiell infektiösen Virus ergaben, dass die weltweit verbreitete Standardimpfung gegen Hepatitis B nicht vor diesem Virus schützt. „Dieser Befund ist sehr beunruhigend, weil er die Frage aufwirft, ob es mit der herkömmlichen Impfung gelingen kann, Hepatitis B weltweit auszurotten“, sagt Prof. Drosten. Dass der jetzige, weltweit verwendete Impfstoff gegen Hepatitis B trotz guter Schutzwirkung bei Neugeborenen und Kindern ohnehin vermehrt Lücken in der Schutzwirkung zeigt, wie z.B. bei älteren Personen und Dialysepatienten, darauf weist PD Dr. Glebe vom Nationalen Referenzzentrum für Hepatitis-B- und D-Viren hin. „Die Entdeckung von neuen Hepatitis-B-Viren aus Fledermäusen sollte ein Ausgangspunkt für die Entwicklung wirksamerer Hepatitis-B-Impfstoffe sein“, sagt PD Dr. Glebe.

Die Auswertung der Laborergebnisse und weitere evolutionsbiologische Untersuchungen ergaben, dass das Gelbohr-Fledermaus-Virus mit dem menschlichen Hepatitis B-Virus sehr eng verwandt ist und seinen Ursprung wahrscheinlich in den Fledermäusen hat. Eine Ausrottung der Fledermäuse wäre jedoch weder sinnvoll noch möglich, sagt Prof. Drosten. „Diese Wildtiere sind von unschätzbarem Wert für unsere Ökosysteme.“

Publikation: Bats carry pathogenic hepadnaviruses antigenically related to hepatitis B virus and capable of infecting human hepatocytes, Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), DOI: 10.1073/pnas.1308049110

 

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