Während der Staat immer mehr an die Grenzen seiner – insbesondere finanziellen – Leistungsfähigkeit gerät, wird die Bürgergesellschaft selbstbewusster und eigenständiger. Zu diesem Ergebnis kommen das Kompetenzzentrum Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge an der Universität Leipzig und die Bertelsmann-Stiftung in einer gemeinsamen Studie mit der Kanzlei Wolter-Hoppenberg, die ab Montag erhältlich ist.
Nach den aktuellen Studienergebnissen erkennen Staat und Bürgerschaft, dass in einer Kooperation auf Augenhöhe Chancen für beide Seiten liegen. So würden die Kommunen zunehmend mehr kompetente Partner gewinnen, die Bürger zugleich notwendigen Gestaltungsspielraum erhalten.
Laut der heute veröffentlichten Untersuchung steht die Entwicklung zu mehr Bürgerbeteiligung jedoch noch am Anfang. Sowohl die Kommunen wie auch die Bürger hätten das Potential noch nicht voll entdeckt und müssten erst noch lernen, mit den vielfältigen positiven und negativen Möglichkeiten umzugehen. Denn neben einer Fülle von Chancen durch mehr Bürgerbeteiligung bestünden durchaus auch Stolpersteine.
Als positiv stellt die neue Studie schon heute erfolgreiche Modelle einer finanziellen Bürgerbeteiligung heraus. Beispielsweise im Bereich physischer Infrastrukturen, wie etwa bei der Energieerzeugung. Außerdem existieren im Bereich des Personen-Nahverkehrs (ÖPNV) neue Bedienformen, die ebenfalls auf die Einbindung der Bürger setzen.
Dem gegenüber stehen erhebliche Hindernisse für eine finanzielle Bürgerbeteiligung bei öffentlichen Leistungen. Wenn bestimmte technische Standards, rechtliche Vorgaben, Anforderungen an eine kontinuierliche qualitative und quantitative Leistungserbringung oder Haftungsanforderungen zwingend sind, werden von Kommunen sehr oft rechtliche Bedenken ins Spiel angebracht.
„Wir müssen grundlegend neu denken“, fordert Dr. Kirsten Witte, Direktor des Programms LebensWerte Kommune bei der Bertelsmann-Stiftung. „Wenn das kommunale Leistungsangebot gemeinsam mit den Bürgern erbracht werden soll, sind neue – auch finanzielle – Formen der Bürgerbeteiligung erforderlich. Neben rechtlichen Fragen müssen Gewährleistungsfragen und Organisationsformen angepasst werden. Nur dann können Engagement, Expertise und Kapital der Bürger optimal genutzt werden.“ Dies sei notwendig für die gemeinsame Umsetzung gesellschaftlicher Aufgaben und eine künftige Daseinsvorsorge.
„Bei den freiwilligen kommunalen Aufgaben können sich Städte und Gemeinden eine finanzielle Bürgerbeteiligung sehr gut vorstellen. Bei Pflicht-Aufgaben der Kommunen sehen sie nur begrenzte Chancen einer finanzieller Bürgerbeteiligung“, sagt Dr. Oliver Rottmann, Studienleiter und Geschäftsführender Vorstand des Kompetenzzentrums an der Universität Leipzig. Möglich seien eher Formen der passiven direkten finanziellen Bürgerbeteiligung.