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Oberammergau in Westfalen

Jesus wird von drei römischen Legionären zu Pontius Pilatus gebracht. Szene aus dem diesjährigen Passionsspiel in Gelsenkirchen. Foto: LWL/Cantauw
Jesus wird von drei römischen Legionären zu Pontius Pilatus gebracht. Szene aus dem diesjährigen Passionsspiel in Gelsenkirchen.
Foto: LWL/Cantauw

Westfalen (lwl). Trotz der rund 700 Kilometer, die Gelsenkirchen von Oberammergau trennen, gibt es doch eine Gemeinsamkeit, die diese beiden Orte, die wohl unterschiedlicher nicht sein können, verbindet: die Passionsspiele. „Seit 1634 werden in Oberammergau alle zehn Jahre Szenen aus der Leidensgeschichte Jesu Christi aufgeführt. Eine so alte Tradition gibt es in Gelsenkirchen zwar nicht, der Begeisterung des Publikums für die Aufführungen in der evangelischen Kirche in Gelsenkirchen-Rotthausen, die in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfinden, tut dies aber keinen Abbruch“, sagt Christiane Cantauw, Geschäftsführerin der Volkskundlichen Kommission für Westfalen beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL).

Szenische Darstellungen des Lebens und Leidens Jesu Christi haben im europäischen Raum eine lange Tradition: Bereits im Mittelalter zogen die geistlichen Spiele viele Menschen in ihren Bann, stellten sie doch eine Möglichkeit dar, biblische Inhalte kennenzulernen und ihren Sinn zu verstehen. „In den Kirchen wurde lateinisch gesprochen, so dass die einfachen Leute, die diese Sprache der Gebildeten nicht beherrschten, buchstäblich kein Wort verstanden. Sie benötigten Bilder, um sich mit den Inhalten der Religion vertraut zu machen. Die bewegten Bilder der Passionsspiele hatten dabei noch den zusätzlichen Vorteil, dass ihre teils mehrtägigen Aufführungen den Alltag durchbrachen und Abwechslung versprachen“, erläutert Cantauw.

Jesus (Alexander Welp) wendet sich mit der Bergpredigt an das Volk. Die Hohenpriester um Kaiphas hören entrüstet zu. Szene aus dem diesjährigen Passionsspiel in Gelsenkirchen. Foto: LWL/Cantauw
Jesus (Alexander Welp) wendet sich mit der Bergpredigt an das Volk. Die Hohenpriester um Kaiphas hören entrüstet zu. Szene aus dem diesjährigen Passionsspiel in Gelsenkirchen.
Foto: LWL/Cantauw

Eine erste Blütezeit der geistlichen Spiele war die Zeit nach 1400. Die Passionsspiele, die zuvor von Geistlichen für Geistliche aufgeführt worden waren, wurden Teil einer religiösen Festkultur in den Städten, wo sie breitere Bevölkerungsschichten erreichten. Die einfachen Leute waren zunehmend nicht nur als Publikum, sondern auch als Darsteller gefragt: „Vor allem in den wohlhabenderen Städten wurde ein enormer Aufwand für die Vorstellungen getrieben. An der Aufführung des Passionsspiels in Valenciennes in Frankreich, die sich über 25 Tage erstreckte, waren beispielsweise rund hundert Akteure beteiligt. Wie wichtig das zahlenmäßige Engagement von Laiendarstellern mittlerweile waren, zeigt sich auch daran, dass man hier wie andernorts um 1500 erstmals auch Frauen als Darstellerinnen zuließ“, fasst Cantauw zusammen.

In der Reformationszeit gerieten die geistlichen Spiele zunehmend in die Kritik. Man stellte in Frage, ob diese Spektakel die richtige Methode waren, um fromme Themen unter das Volk zu bringen. Die Kritik der reformatorischen Geistlichen richtete sich aber vielfach nicht gegen die geistlichen Spiele an sich, sondern nur gegen Übertreibungen und Auswüchse, so dass sie teilweise in neuartiger, protestantischer Form fortlebten. Auch die Katholiken besannen sich im 16./17. Jahrhundert erneut auf diese Tradition und konnten vor allem im Alpenraum eine lebendige Passionsspieltradition etablieren. „Infolge der Kriege und der großen Epidemien war in der Frühen Neuzeit die Verunsicherung in der Bevölkerung groß. Viele suchten ihr Heil in der Religion. Auch die Festspiele in Oberammergau fußen letztlich auf einem Gelübde, das wegen der überstandenen Pestjahre gegeben wurde“, weiß Cantauw.

Zu den Ideen der Aufklärung wollten die Passionsspiele dann aber nicht mehr passen. Seit den 1770er Jahren reihte sich schließlich ein Verbot an das andere. Viele – auch bekannte – Passionsspielorte stellten die Aufführungen ein. Erst 100 Jahre später konnte man in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz wieder an die Tradition der geistlichen Spiele anknüpfen.

„Spannend ist zur Zeit vor allem, dass es in Westfalen seit kurzer Zeit eine deutliche Zunahme an Passionsspielorten gibt. Und nicht nur das: Die Aufführungen in Hallenberg im Hochsauerlandkreis, in Lippetal im Kreis Soest, in Salzkotten-Verne im Kreis Paderborn und in Gelsenkirchen sind sehr beliebt“, erzählt Cantauw. „In der heutigen Zeit sind neue und andere Zugänge zur Religion gefragt. Die Kirchenfrömmigkeit mag insgesamt abnehmen, das heißt aber nicht, dass die Gläubigen der Religion den Rücken gekehrt haben. Sie möchten das Gefühl haben, dass die Glaubensinhalte immer wieder neu und spannend für sie aufbereitet werden. Passionsspiele setzen genau bei diesem Bedürfnis an“, vermutet Cantauw als Grund für diesen Trend.

LWL-Einrichtung:
Volkskundliche Kommission für Westfalen

„Hausmittel zum Ostereierfärben“ – Originalmeldung 1953

(aid) – Was zum Ostereierfärben gebraucht wird, ist im bäuerlichen Haushalt vorhanden. Es kostet nichts und bereitet viel Freude – den großen und den kleinen Kindern.

Das bekannteste Färbemittel ist wohl die Zwiebelschale. Noch in der Generation unserer Eltern kannte jeder ihre Verwendung. Heute besteht bereits die Gefahr, dass die Hausfrau nach einer Gebrauchsanweisung fragt. Dabei ist die abfallende Zwiebelschale höchst einfach anzuwenden. Sie wird in Wasser geworfen und stehen gelassen.

In kurzer Zeit bildet sich eine schokoladenbraune Brühe, in die die Eier eingelegt werden. Selbst in der kalten Brühe färben sich die Eier leuchtend braun. Man muss nur dafür Sorge tragen, dass die Färbeflüssigkeit allseitig Zutritt hat. Will man dem Ei einen marmorartigen Überzug in den verschiedenen Schattierungen von Braun geben, so legt man mehrere Zwiebelschalen um das Ei herum, umwickelt das Ganze mit einem Läppchen, das man oben zubindet. Dann kocht man dieses gut verpackte Ei vier Minuten oder länger, je nachdem man es als weiches oder hartgekochtes Ei verspeisen will. Wenn man dann das Ei aus seiner Umhüllung löst, wird man von dem lebhaften Muster und den feinen Farbtönungen überrascht sein.

Eine andere Färbebrühe gewinnt man, wenn man junges Grün (Gras, Blätter) in Wasser kocht. Die Eier kann man gleich mit darin kochen. Sie färben sich dann bräunlich-grün wie alte Seide. Ein eigenartiges Braun erzielt man auch in der Brühe von Kaffeezusatz, der färbende Bestandteil ist dabei ein Zuckerröststoff.

Diese Eierfarben sind echte Farben. Sie verbinden sich innigst mit der Kalkschale. Sie färben nicht ab, wenn die Eier in Wasser kommen oder mit feuchten Händen angefasst werden. Es ist nur darauf zu achten, dass die Eier möglichst sauber und fettfrei in die kalte Brühe gelegt werden. Die Farben haben den Vorteil, dass sie auch bei längster Einwirkung nicht überfärben, nicht zu schreien beginnen, sondern immer natürlich wirken.

Große Freude wird ausgelöst, wenn das Osterei nicht nur durch seine Färbung ein Festtagskleid erhält. Es kann nämlich auch noch irgendwelche Verzierungen tragen. Als Kinder wussten wir, wie die Eier mit Zwiebelschale so schön braun gefärbt wurden, wir wunderten uns aber immer darüber, wie die Mutter darauf die weißen Verzierungen herausholte.

Da gibt es zunächst das einfache Kratzverfahren. Wenn das Ei in einer der Farbbrühen gekocht wurde, dann kann man auf der Schale aus dem gefärbten Grund Verzierungen herauskratzen. Das geschieht mit der kleinen Klinge eines Taschenmessers, einem sogenannten Federmesser. Nicht tief wird dabei eingeritzt, das Messer schabt nur flach die angefärbte Kalkschicht ab.

Das zweite Verfahren macht etwas mehr Mühe, doch der Erfolg wird unseren Fleiß belohnen, denn klar und deutlich steht die weiße Zeichnung auf dem gefärbten Grunde. Bevor das Ei gefärbt wird, muss die Zeichnung aufgetragen werden. Das geschieht mit flüssigem Wachs. Kerzenreste werden in einer Blechschachtel erwärmt und flüssig gehalten. Mit einem Holzstäbchen taucht man in das flüssige Wachs und zeichnet damit auf das Ei. Ist die Zeichnung vollendet, dann wird das Ei in einer kalten Brühe gefärbt. Erst nach der Färbung wird das Ei in heißes Wasser gelegt und dadurch das aufgetragene Wachs entfernt. Löst sich die Wachsschicht nicht sofort, So kann mit einem Hölzchen nachgeholfen werden.

Wie verziert man das Ei? Dem Zierwillen und dem Ausdruckswillen sind keine Grenzen gesetzt. Man kann geometrische Formen zeichnen (Kreis und Dreieck Quadrat und Gitterung). Ja selbst die Formen der Natur (Blatt und Ranke) können sich über das Ei hin ausbreiten. Es lässt sich auch vieles zum Ausdruck bringen, was man in Worten nicht gern sagen möchte, eine Neckerei, eine kleine Anzüglichkeit und schon hat das Osterei eine persönliche Note. Aber nicht immer verbergen sich geheime Wünsche hinter einer Zeichnung, man kann auch in zierlicher Schrift sehr deutlich werden. Auf Eiern aus der Steiermark erfahren wir in Reimen „Meine Lieb und Meine Treu, schenk ich Dir zum Oster Ey“ „Dass ich Dich liebe, daran ist kein Zweifel; wirst Du mir untreu, so hol Dich der Teufel!“ In solchen Sprüchen offenbart sich, dass das geschmückte Osterei nicht nur eine Gabe für das Kind darstellt.

Auch den Erwachsenen spricht es dann an, wenn es als Träger eines selbstständigen Ausdrucks im Bild, im Ornament, im Reim etwas Eigenes darstellt.

Quelle: www.aid.de

Aus: „aid Informationen“ – Artikeldienst „Hauswirtschaft, Landfrau, Landjugend“
2. Jahrg. Nr.8
Bad Godesberg, den 14.3.1953 Weitere Informationen:

Dattelner Kirche St. Amandus – Denkmal des Monats

Ausschnitt des Sakramentenhauses vor der Reinigung (l.), hier sind Untersuchungsschnitte der 1980er-Jahre und Reinigungs-proben von 2014 zu erkennen, und nach der Restaurierung. Foto: LWL/Nieland
Ausschnitt des Sakramentenhauses vor der Reinigung (l.), hier sind Untersuchungsschnitte der 1980er-Jahre und Reinigungs-proben von 2014 zu erkennen, und nach der Restaurierung.
Foto: LWL/Nieland

Datteln (lwl). Das Erscheinungsbild des um 1520 entstandenen Sakramentenhaus in der Dattelner Kirche St. Amandus war nach starken Beschädigungen im Zweiten Weltkrieg, dem Wiederaufbau in den 1960er Jahren und einer Restaurierung 1989 sehr uneinheitlich. Die Kirchengemeinde hat jetzt mit einer Restaurierung dieses Problem und weitere Schä-den behoben. Deshalb hat der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) das Sakramentshaus jetzt als Denkmal des Monats ausgezeichnet.

„Die Restaurierung ist sehr gelungen. Weil ockerfarbene und bräunlichen Anstriche, die im Laufe der Zeit hinzugekommen sind, abgenommen wurden, zeigt das Sakramentshaus jetzt ein harmonischeres Erscheinungsbild. Außerdem sind die bildhauerisch hochwertigen Ausarbeitungen der vielen Details und Figuren besser zu erkennen“, lobt LWL-Restauratorin Maria Giese.

Das Sakramentshaus vor der Restaurierung 1989 (l.) und nach der Überarbeitung, bei der neuere Farbschichten entfernt wurden. Foto: LWL/Nieland
Das Sakramentshaus vor der Restaurierung 1989 (l.) und nach der Überarbeitung, bei der neuere Farbschichten entfernt wurden.
Foto: LWL/Nieland

Als das Sakramentshaus in der Zeit von 1963 bis 1966 wieder aufgebaut wurde, konnte ein Großteil der unteren Elemente und der Figuren wieder verwendet werden. Der stark zerstörte Baldachin wurde überwiegend durch Repliken aus Baumberger Kalksandstein ersetzt. Bereits damals waren die originalen Elemente zum Teil mit einem rötlich-braunen und einem ockerfarbenen neueren Anstrich versehen. Da beide Anstriche dick aufgetragen waren, kam die hochwertige Ausarbeitung des Sakramentshauses nicht mehr zur Geltung. „Da die neuen Teilstücke aus Naturstein farblich nicht angeglichen wurden, wirkte das Gesamterscheinungsbild stark gestört“, so Giese.

Eine Restaurierung Ende der 1980er-Jahre sollte diesen Zustand verbessern. Bei einer Untersuchung wurden unter dem rötlich-braunen und dem ockerfarbenen Anstrich mehrere ältere Farbschichten entdeckt. Da sie jedoch nicht in allen Bereichen ermittelt werden konnten, entschied man sich für die kostengünstigere Angleichung farbig unpassender Partien in einer rot-braunen Farbe.

Bei der umfassenden Innenraumsanierung der Kirche in den Jahren 2012/13 nahm die Kirchengemeinde den immer noch unbefriedigenden Zustand des Sakramentshauses erneut in den Blick. Staub- und Rußablagerungen verstärkten diesen uneinheitlichen Eindruck. Da sich einige Teile gelockert hatten und einige Fugen geschädigt oder unpassend ausgeführt waren, entschied die Gemeinde sich für eine erneute Restaurierung. Auf Basis der 1988 ermittelten Ergebnisse wurde die Untersuchung weitergeführt. Dabei stellte sich heraus, dass in einigen Bereichen des Gehäuses, der Figuren, des Sockels und des Baldachins noch ältere Farbschichten vorhanden waren. Eine Probe zeigte, dass die neueren Anstriche teilweise wasserlöslich waren und abgenommen werden konnten, ohne die älteren Farbschichten zu schädigen. In anderen Partien sind unterhalb der neueren Anstriche keine weiteren Farbschichten mehr erhalten, hier legten die Restauratoren den Sandstein frei. Außerdem wurden einige der neueren, farbig unpassenden Teilstücke mit einer Lasur im Baumberger-Kalksandstein-Ton versehen.

Das Sakramentshaus

Das reich verzierte Sakramentshaus wird der münsterschen Steinmetzfamilie Buneckeman zugeordnet. Es besitzt eine beeindruckende Höhe von etwa zehn Metern und befindet sich im ehemaligen Chor des ursprünglich spätgotischen Kirchenbaus. Hier steht es auf einem vierseitigen Sockel und ist mit zwölf Figuren und Baldachinen ausgestattet. Dargestellt sind die Verkündigungsszene an der Vorderseite und Heiligenfiguren an den Seiten. Feingliedrige Fialen und Strebewerk überragen das Gehäuse baldachinartig. Das Sakramentshaus ist aus Baumberger Kalksandstein gefertigt und weist Reste älterer Farbschichten auf.

LWL-Einrichtung:
LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen

Wie die Neandertaler sich dem Klima anpassten

Warum hat sich der Homo sapiens in der Evolution durchgesetzt und nicht der Neandertaler? Das ist eine Frage, die Dr. Andrea Picin antreibt. „Nur wenn wir das soziale Verhalten und die technologischen Fertigkeiten unserer Vorfahren kennen, können wir verstehen, warum es uns heute gibt und nicht sie“, sagt Picin.

Dr. Andrea Picin forscht als Humboldt-Stipendiat an der Uni Jena über die Levallois-Technik, einer T ... Foto: Anne Günther/FSU
Dr. Andrea Picin forscht als Humboldt-Stipendiat an der Uni Jena über die Levallois-Technik, einer T …
Foto: Anne Günther/FSU

Der italienische Wissenschaftler forscht derzeit als Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Insgesamt zwei Jahre ist er in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Clemens Pasda vom Bereich für Ur- und Frühgeschichte zu Gast; drei Monate davon wird er im Neanderthal Museum im nordrhein-westfälischen Mettmann verbringen.

Während seines Forschungsaufenthaltes in Jena wird sich der 39-Jährige vor allem mit der Levallois-Technik befassen – einer Technik zur Bearbeitung von Feuerstein, welche die Neandertaler vor etwa 200.000 Jahren entwickelt haben. „Dabei wurde der Stein aufwendig vorbearbeitet und dann mit einem gezielten Schlag ein Stück aus dem Kernstein abgetrennt, der gewissermaßen als Negativ übrig blieb“, erklärt Picin. Damit konnten die Menschen nicht nur feinere und präzisere Werkzeuge herstellen, die Technik war auch eine Weiterentwicklung der kognitiven Fähigkeiten, da die Menschen den Stein zunächst in ihrer Vorstellung umformen mussten, sagt Picin.

Der Wissenschaftler will nun herausfinden, wie sich die Levallois-Technik in Mitteleuropa entwickelt hat und welchen Einfluss die jeweiligen Umweltbedingungen dabei hatten. „In der Altsteinzeit wechselten sich Eis- und Warmzeiten ab und damit veränderten sich auch Flora und Fauna. Die Menschen mussten neue Jagdstrategien entwickeln und damit auch neue Waffen und Werkzeuge, was wiederum neue Techniken zur Bearbeitung von Steinen nach sich zog“, erläutert Picin seinen Forschungsansatz.

In den kommenden Monaten wird er tausende altsteinzeitliche Steinartefakte akribisch untersuchen und vermessen, um zu rekonstruieren, wie die Menschen sie einst bearbeitet haben und ob sich die Arbeitsweise im Laufe der Zeit verändert hat. Anschließend wird er die Ergebnisse mit Klima- und Umweltdaten vergleichen – um schließlich zu entschlüsseln, wie die Menschen ihr Verhalten und ihre Arbeitsweise den jeweiligen Lebensbedingungen anpassten. Picins Hauptaugenmerk liegt dabei auf den mitteldeutschen Ausgrabungsorten Markkleeberg, Neumark und Königsaue.

„Die drei Fundstellen spiegeln Epochen mit unterschiedlichen klimatischen Verhältnissen wider, so dass sich hier der Zusammenhang zwischen Klima und technologischem Wandel besonders gut erforschen lässt“, sagt Picin. Die Markkleeberger Fundstücke sind mit 300.000 Jahren am ältesten und stammen aus einer Eiszeit, ebenso die 50.000 Jahre alten Artefakte aus Könisgaue. „Die Funde aus Neumark liegen zeitlich genau dazwischen und sind hingegen einer Warmzeit zuzuordnen, als es wieder mehr Wälder gab und die Levallois-Technik weniger verbreitet war“, erklärt Picin.

Dass Andrea Picin sich heute mit den Neandertalern befasst, war vor einigen Jahren noch nicht absehbar: Denn Picin lernte ursprünglich den Beruf des Rettungsschwimmers, den er auch mehrere Jahre lang ausübte. Doch bei einem Besuch einer römischen Ausgrabungsstätte packte ihn der Forschergeist: Im Alter von 30 wagte er den beruflichen Neuanfang und studierte prähistorische Archäologie in Padua (Italien) und Tarragona (Spanien). Anschließend folgte die Promotion in Tarragona und am Neanderthal Museum, die er im März 2014 abschloss. Seit Oktober forscht er nun als Humboldt-Stipendiat an der Universität Jena.

„Der Bereich für Ur- und Frühgeschichte in Jena hat eine lange Geschichte und Prof. Pasda ist in Europa einer der bekanntesten Experten für Steinbearbeitungstechniken der Steinzeit“, betont Picin. Neben seiner Forschungsarbeit will der Italiener auch Erfahrungen in der Lehre sammeln – und natürlich Jena und die Region erkunden: „Ich habe kürzlich mehrere Leute gesehen, die auf der Saale Kanu gefahren sind. Das möchte ich auch unbedingt machen!“ sagt Picin. Die besten Voraussetzungen hat er ja, schließlich ist mit ihm immer ein Rettungsschwimmer an Bord.

Weitere Informationen:
http://www.uni-jena.de

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