Erstmals ist es Ärzten und Wissenschaftlern des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden sowie der in Los Angeles beheimateten University of California gelungen, das biologische Alter verschiedener Gewebe innerhalb des menschlichen Organismus zu vergleichen. Die Ergebnisse wurden am Montagabend (13. Oktober) in der aktuellen online-Ausgabe der „Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA“ veröffentlicht.
Ziel des Forschungsprojekts war es, genauere Erkenntnisse über den Zusammenhang von Übergewicht und gesundheitlichen Risiken bestimmter Organe zu erhalten. Dafür nutzten die Forscher den Ansatz der sogenannten epigenetischen Uhr. Für das Forscherteam überraschend war es auch, dass nur bei den Leberzellen ein Zusammenhang zwischen Übergewicht und einem schnelleren Altern des Organs besteht. Dieser Befund könnte helfen, das erhöhte Risiko von Fettleibigen zu erklären, an Leberkrebs zu erkranken.
Die wichtigsten Risikofaktoren für viele Zivilisationserkrankungen sind Übergewicht und Alter. Damit liegt es für die Wissenschaftler nahe, diese beiden Faktoren gezielt zu untersuchen und insbesondere zu schauen, ob bestimmte Gewebe oder der Körper insgesamt bei übergewichtigen Menschen schneller altern. Bisher war es den Wissenschaftler lediglich möglich, das Altern eines einzelnen Gewebes gut zu untersuchen. Aber insbesondere der Vergleich des Gewebealters zwischen verschiedenen Organen war bisher eine Herausforderung.
Hier kam den Forschern die „epigenetische Uhr“ zu Hilfe, die der Biostatistiker Steve Horvath von der Unversity of California jüngst entwickelte: Durch die Analyse von Veränderungen an der Erbsubstanz lässt sich zumindest das Altern der genetischen Informationsverpackung in der Zelle sehr gut messen. So war es Forschern aus Kiel und Dresden gemeinsam mit Ihrem Kollegen aus den USA möglich, erstmals eine ganze Reihe von Geweben wie Blut, Muskel, Fettgewebe und auch Leber auf ihr Alter sowohl bei Normalgewichtigen als auch überwichtigen und fettleibigen Patienten zu prüfen.
„Überraschenderweise sahen wir ein vorzeitiges Altern nur in der Leber übergewichtiger Patienten“, sagt Prof. Jochen Hampe, Leiter des Bereiches Gastroenterologie und Hepatologie an der Medizinischen Klinik I des Uniklinikums Dresden. Dieses vorzeitige Altern konnte auch nach Gewichtsabnahme nicht wieder zurückgenommen werden – die Leber „merkt“ sich also ihr Alter – zumindest in den von den Forschern bisher untersuchten Zeiträumen. In Zahlen gemessen, wäre beispielsweise die Leber bei einer 100 Kilo schweren Frau mit einer Größe von 1,65 Metern etwa drei Jahre älter als bei einem Körpergewicht von 70 Kilo. „Diese Befunde werfen natürlich eine Reihe von Fragen auf.
Zum einen könnte dieses schnellere Altern der Leber erklären, warum bestimmte Erkrankungen wie beispielsweise Leberkrebs bei Überwichtigen deutlich häufiger vorkommen als bei schlanken Personen“, sagt Prof. Clemens Schafmayer, der Klinik für Allgemeine, Viszeral-, Thorax-, Transplantations- und Kinderchirurgie des Universitätsklinikums Schleswig Holstein, Campus Kiel. „Andererseits stehen wir beim tieferen Verständnis der Alterungsprozesse erst ganz am Anfang“, ergänzt Prof. Jochen Hampe: „Wir gehen jetzt natürlich den Mechanismen dieser Alterungsprozesse auf den Grund, um dort irgendwann auch therapeutisch eingreifen zu können. Bis dahin sind die Befunde zunächst nur ein Argument mehr, sich um ein normales Körpergewicht zu bemühen.“
„Wir freuen uns, dass unsere interdisziplinäre Forschung im Bereich der metabolischen Lebererkrankungen nun erste internationale Früchte trägt. Das ist für uns eine große Motivation, gemeinsam mit unseren Partnern aus der Inneren Medizin, der Humangenetik und Pathologie erfolgreich weiter zu arbeiten“, sagt Prof. Thomas Becker, Direktor der Klinik für Allgemeine, Viszeral-, Thorax-, Transplantations- und Kinderchirurgie des Universitätsklinikums Schleswig Holstein, Campus Kiel.
Die Ergebnisse des Forschungsprojekts sind unter dem Titel „Obesity accelerates epigenetic aging of human liver“ am Montagabend (13. Oktober) im renommierten Fachjournal “Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA” (www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1412759111) erschienen. Das über mehr als fünf Jahre angelegte Forschungsprojekt wurde das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Systembiologieinitiative „Die virtuelle Leber“ gefördert. In den USA haben die „National Institutes of Health“ öffentliche Mittel für diese Forschungen bereitgestellt.
Weitere Informationen
www.virtual-liver.de
Quelle/Text/Redaktion: www.uniklinikum-dresden.de