„Das Verhältnis von Verbrauchern und Lebensmittelherstellern gleicht dem einer zerrütteten Ehe.“ Mit diesen Worten eröffnete Gerd Billen, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv), am 18. Juli 2013 die Pressekonferenz zum zweijährigen Bestehen des „Beschwerde“portals lebensmittelklarheit.de. Rund 7.300 Produktmeldungen gingen bis dato bei den Verbraucherschützern ein, 255 davon wurden wegen missverständlicher oder gar täuschender Aufmachung online veröffentlicht. In 107 weiteren Fällen änderten Hersteller wegen der Beschwerde die Produktkennzeichnung.
Die Kommunikation zwischen Herstellern und Verbrauchern via Lebensmitteletikett könnte besser laufen. Zumal die Begleitforschung zu lebensmittelklarheit.de belegt: Drei von vier Verbrauchern haben das Gefühl, dass bei den Angaben auf Lebensmitteln getrickst wird. Wobei eine Studie der Universität Gießen in der Juli-Ausgabe der deutschen Lebensmittelrundschau kritisch anmerkt, dass „die Verbrauchermeldungen keinesfalls ein repräsentatives Bild eines Durchschnittsverbrauchers liefern“. Zurückzuführen sei das u. a. durch den überproportionalen Anteil an männlichen Beschwerdeführern (63 %), während andere Studien zeigen, dass Frauen zwei von drei Lebensmittelkaufentscheidungen träfen.
Manch einer Ehe hilft in Krisenzeiten der Rat eines unbeteiligten Dritten. Ob sich nun das von Industrievertretern wegen seiner möglichen Pranger-Wirkung scharf kritisierte vzbv-Projekt in der Rolle des „Eheberaters“ sieht, ließ Billen offen. Einen wichtigen Beitrag zur Konfliktlösung leiste das vorerst bis Ende 2014 weiter geförderte Portal jedoch erwiesenermaßen – und zwar künftig nicht mehr allein als Verbraucherbeschwerdeportal. So sind ab Herbst 2013 Dialog-Runden mit Herstellern geplant, über die in der online-Rubrik „Im Dialog“ berichtet wird.
Die Gießener Studie kommt zu dem Schluss, dass es gemäß moderner verbraucherpolitischer Ziele zweckdienlicher wäre, die Verbraucherbeschwerden als anschauliches Beispiel zu nutzen, um zu zeigen, wie Produkteindrücke durch gesetzlich vorgeschriebene Produktinformationen korrigiert werden können. Die Wissenschaftler um Prof. Rainer Kühl sehen diese Kompetenzförderung als „vorzugswürdige Alternative zur derzeitig betriebenen Ignoranzpflege“.
Vielleicht würde es der „zerrütteten Ehe“ zwischen Verbrauchern und Herstellern gut tun, wenn altgediente Rollenverteilungen einmal neu gedacht werden.