Westfalen (lwl). „Das katholische Hochfest Fronleichnam, das am Donnerstag (4.6.) gefeiert wird, hat in Westfalen eine lange Tradition, die bis ins 13. Jahrhundert zurückgeht“, sagt Jakob Smigla-Zywocki von der Volkskundlichen Kommission für Westfalen beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), der sich intensiv mit der Geschichte des Fronleichnamsfestes beschäftigt hat.
Neben dem Gottesdienst gehört die Prozession als zentrales Element zu dem Festtag. Die Verbindung von Fronleichnamsprozessionen mit Flurschutz, Feldweihen und Wetterbitten, führte dazu, dass das Fest ab dem 15. Jahrhundert bei der bäuerlichen Bevölkerung immer beliebter wurde. „Die Menschen auf dem Land glaubten an die Segen spendende Kraft der an ihren Feldern vorbei getragenen Monstranz“, so Smigla-Zywocki. Die Monstranz ist ein reich geschmücktes, oftmals goldenes Schaugerät. Es ist meist in Form einer Sonne oder eines Herzens gestaltet, in dessen Mitte die Hostie eingesetzt wird. „Aufgrund des Glaubens an deren Segen ließen sich einmal eingeführte Wege kaum noch ändern. Die Anrainer setzten alle Hebel in Bewegung, damit die Prozession wie gehabt an ihren Feldern vorbei führte, um den Segen zu empfangen“, erklärt Smigla-Zywocki.
Zumeist geht der Priester mit der erhobenen Monstranz unter einem Baldachin, der sowohl als Schutz- und Herrschaftssymbol Christi, wie auch als symbolische Darstellung des Himmels zu deuten ist. „Bei der Fronleichnamsprozession ist es nach katholischer Auffassung Christus selber, der mitgeführt und geleitet wird“, so der LWL-Volkskundler. Die Prozession führt gewöhnlich zu vier Stationsaltären, die die Himmelsrichtungen symbolisieren. In Sandebeck (Kreis Höxter) wurden die vier Altäre in den 1950er Jahren zum Beispiel mit Kränzen, Blumen, Heiligenbildern ‚Triumpfbögen‘ und Kruzifixen geschmückt. An jedem der Altäre wurden die Anfänge der vier Evangelien gelesen. Mitgebrachte Blumensträuße wurden an den Altären geweiht. Sie sollten später Haus und Hof vor allem Übel und Krankheiten schützen.
Die Prozession wird von den Erstkommunkindern angeführt, die auch heute noch in ihren weißen Gewändern dem Klerus voranschreiten und manchmal „Engelchen“ genannt werden. In gebührendem Abstand folgen dem Priester und der Monstranz die Laien, in einigen Orten nach Geschlecht, Status und Vereinszugehörigkeit geordnet. Auch eine Musik-, oder Blaskapelle gehört beispielsweise in Münster-Coerde oder Neuenkirchen (Kreis Steinfurt) zur Prozession.
In einigen Regionen Westfalens, zum Beispiel im Möhnetal im Kreis Soest, ist es noch Brauch den Festzug durch das „Fronleichnamsschießen“ zu begleiten. Die am Ende der Prozession gehenden Männer zünden zu Beginn der Prozession an den vier Altären und zum Abschluss des Festes Böller. Fast ganz verschwunden ist der Brauch, den Weg der Prozession ganz oder teilweise mit Blumenteppichen auszulegen. Diese waren von Ort zu Ort unterschiedlich lang. Manchmal maßen sie einige Meter, in anderen Fällen jedoch viele hundert Meter. So gab es bis in die 1990er Jahre prächtige Altar-Blumenteppiche in den Gemeinden Ohlenbach und Westfeld bei Schmallenberg (Hochsauerlandkreis). Auch in Bochum, in Münster und in zahlreichen Gemeinden bei Olpe und Rheine (Kreis Steinfurt) waren derartige Teppiche bis Mitte der 1960er Jahre üblich. Der Blumenläufer war für gewöhnlich eher schmal, so dass nur der Priester mit der Monstranz über ihn schritt.
In den letzten Jahrzehnten haben die LWL-Volkskundler eine Vereinfachung des Fronleichnamsfestes beobachtet. Die Prozessionen werden vielerorts verkürzt, steuern mittlerweile nur noch einen oder zwei Altäre an und auch die Ausschmückung der Straßen und Häuser ist zurückhaltender. „Dennoch ist das Fest ein Brauch mit einer langen Geschichte, und es lohnt sich an Fronleichnam eine Prozession zu beobachten, oder daran teilzunehmen. Es gibt viel zu entdecken“, so Smigla-Zywocki.
Hintergrund
Fronleichnam ist ein wichtiges Kirchenfest, bei dem die Hostie im Mittelpunkt steht. „Wir können das Fest auf eine Vision der Augustinernonne Juliana von Lüttich aus dem 13. Jahrhundert zurückführen. Sie will in einer Vision im Mond eine Lücke gesehen haben und glaubte, dass sie nur durch ein hohes Kirchenfest ausgefüllt werden könne“, so Smigla-Zywocki. Papst Urban IV., der ursprünglich ebenfalls aus Lüttich stammte, erhob Fronleichnam am 11. August 1264 zum allgemeinen kirchlichen Fest. Um es bekannter zu machen, wurde allen Gläubigen, die sich an Prozessionen beteiligten, einen Ablass von 100 Tagen gewährt, das heißt ihren Seelen blieben 100 Tage im Fegefeuer erspart.
Begünstigt durch die relative Nähe zum Bistum Lüttich, ist die erste Fronleichnamsfeier in Münster bereits 1264 nachweisbar. „Westfalen war somit eine der Keimzellen der neuen Festbewegung nördlich der Alpen, die sich von hier weiter ausbreitete“, so Smigla-Zywocki. Bis zum 14. Jahrhundert hatte sich das Fronleichnamsfest in einheitlichen Formen in der katholischen Welt durchgesetzt. Zu den Brauchträgern gehörten neben der Geistlichkeit die Zünfte und Gilden. In Attendorn (Kreis Olpe) waren beispielsweise die Schumacher, Leinenweber und Schneider bis in die 1950er Jahre die Träger der Fahnen und Stäbe der Fronleichnamsprozessionen. An vielen Orten gründeten sich ferner Fronleichnamsbruderschaften und ab dem 15. Jahrhundert verfügte nahezu jede größere Stadt über Fronleichnamsordnungen, in denen der Veranstaltungsrahmen vorgegeben wurde.
Volkskundliche Kommission für Westfalen
Scharnhorststr. 100
48151 Münster
Karte und Routenplaner