Der Raum scheint zu schwanken, alles dreht sich, man hat das Gefühl, Karussell zu fahren: Etwa jeder fünfte Patient, der einen niedergelassenen Neurologen aufsucht, klagt über Schwindel. Vor allem ältere Menschen leiden darunter. Die Benommenheit und der Taumel machen sie nicht nur unsicher, sondern erhöhen auch das Sturzrisiko. Was hinter den Gleichgewichtsstörungen stecken und wie man Stürzen vorbeugen kann, erklärt Dr. Astrid Maroß, Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie im AOK-Bundesverband.
Schwindelgefühle entstehen, wenn es in den Gleichgewichtssystemen des Körpers eine Störung gibt. Für das Gleichgewicht und die Fähigkeit zur Orientierung im Raum sind drei Sinnesorgane zuständig: Am wichtigsten sind die Gleichgewichtsorgane im Innenohr (vestibuläres System), die die Bewegungen im Raum von Kopf und Körper erfassen und verarbeiten. Die Augen liefern optische Informationen über die Umgebung. Muskeln und Gelenke vermitteln die Position des Körpers und bestimmter Körperteile. Stimmen die Informationen nicht überein oder werden sie vom Gehirn fehlerhaft verarbeitet, wird einem schwindelig. Dass ältere Menschen besonders häufig von Schwindel betroffen sind, liegt an körperlichen Veränderungen im Alter, Erkrankungen und den Nebenwirkungen bestimmter Medikamente. Dann spricht man von Altersschwindel. „Die Funktionstüchtigkeit der Gleichgewichtsorgane nimmt im Alter ab“, erläutert AOK-Ärztin Maroß. Wenn zusätzlich das Sehvermögen nachlässt und die Muskelkraft verringert ist, verstärkt dies die Unsicherheit.
Aber auch Erkrankungen, die bei Älteren häufig vorkommen, beeinträchtigen das Gleichgewichtssystem. So ist bei Patienten mit Diabetes mellitus oft der Tast- und Körpersinn eingeschränkt. Dadurch ist es für sie wesentlich schwerer, den altersbedingten Funktionsverlust des Gleichgewichtssinns auszugleichen, als für Gesunde. Dazu kommt, dass viele Senioren dauerhaft Medikamente einnehmen müssen, die ebenfalls das Gleichgewicht stören können. Beim „Altersschwindel“ sind die Auslöser nicht immer erkennbar.
Daneben können bei Senioren Schwindelformen auftreten, die eine eindeutige Ursache haben. Die häufigste akute Schwindelform im Alter ist der gutartige Lagerungsschwindel. Er entsteht bei den meisten Betroffenen im hinteren Bogengang des Gleichgewichtsorgans, wo sich Kalziumkarbonatkristalle lösen. Bewegen sich die Kristalle, kann dies heftige Drehschwindelattacken auslösen. „Mit Lagerungsübungen lassen sich die Attacken aber meist gut in den Griff bekommen“, sagt AOK-Expertin Maroß. Wenig bekannt ist die Schwindelmigräne, eine Sonderform der Migräne. Akut auftretender, anhaltender Drehschwindel, der von Übelkeit und Erbrechen begleitet wird, kann auf einen Ausfall des Gleichgewichtsnervs (Neuritis vestibularis) hinweisen. Typisch für den Morbus Menière, eine Erkrankung des Innenohrs, sind neben minuten- oder stundenlangen Schwindelattacken Hörstürze und Ohrensausen (Tinnitus). Die Ursache ist bisher nicht geklärt. Einige Gehirnerkrankungen können ebenfalls Schwindel auslösen.
Auch seelische Probleme können Schwindel auslösen
Bei etwa 15 bis 20 Prozent der Schwindelpatienten verursachen seelische Probleme oder Erkrankungen die Beschwerden (somatoformer Schwindel). Eine Unterform ist der phobische Schwankschwindel, der sich meist gut behandeln lässt. Bei den Betroffenen ist dieser Schwindel oft von Angst begleitet und tritt in bestimmten Situationen auf.
„Wer unter Schwindel leidet, sollte seinen Hausarzt aufsuchen“, rät Neurologin Maroß. Dieser kann meist die Ursachen herausfinden, ernsthafte Erkrankungen ausschließen und die passende Behandlung einleiten. Bei Schwierigkeiten mit der Diagnose ist eine fachärztliche Abklärung nötig.
Das Gleichgewicht trainieren
Handelt es sich um Altersschwindel, steht die Vorbeugung von Stürzen im Vordergrund. So ist es sinnvoll, die Sehkraft und Brillenstärke regelmäßig zu überprüfen und anzupassen. Nimmt der Patient Medikamente ein, die Schwindel auslösen können, sollten sie möglichst durch andere Präparate ersetzt werden. Passendes Schuhwerk, geeignete Gehhilfen und eine Umgestaltung der Wohnung tragen ebenfalls dazu bei, Stürzen vorzubeugen. Es empfiehlt sich, Stolperfallen wie Teppichkanten zu beseitigen, die Wohnung gut auszuleuchten sowie Handläufe und Griffe anzubringen. „Wichtig ist auch, dass Ältere regemäßig ihre Kraft und ihr Gleichgewicht trainieren“, sagt Maroß. Dazu eignen sich spezielle Übungen:
- Beim „Hüftkreisen“ stellt man sich mit leicht gegrätschten Beinen hin und stützt die Hände in den Hüften ab. Dann kreist man mit der Hüfte in beide Richtungen.
- Über die Schulter schauen: Bei dieser Übung dreht man sich aus der Standposition nach hinten um, und zwar abwechselnd nach links und rechts. Die Füße bleiben dabei stehen, der Oberkörper und die Arme in den Hüften drehen sich mit.
- Übungen auf einem Bein: Versuchen Sie, möglichst lange auf einem Bein zu stehen. Danach das Standbein wechseln und die Übung wiederholen. Oder Sie stehen 15 Sekunden auf einem Bein und schwingen das andere Bein vor und zurück, bevor Sie wechseln.
- Werfen Sie einen Luftballon hoch und fangen Sie ihn wieder auf oder reichen Sie den Ballon um den Körper herum. Diese Übungen eignen sich nicht für Menschen mit einem künstlichen Hüftgelenk.
- Legen Sie eine dicke Schnur vor sich auf den Boden. Steigen Sie vorwärts über die Schnur und wieder zurück. Variante: Balancieren Sie über die Schnur, wenn möglich barfuß.
Weitere Infos den Themen „Sturzprävention“ und „Kraft- und Gleichgewichtstraining“