„Armut kein Einzelschicksal“- Landkreis legt erstmals Armutsbericht vor

„Armut ist kein Einzelschicksal – auch bei uns im Landkreis Kassel gibt es Armutsrisiken, die alle treffen können“, fasst Vizelandrätin Susanne Selbert die zentralen Aussagen des erstmals vorgelegten Armutsberichts für den Landkreis Kassel zusammen. Armut führe immer zu gesellschaftlicher Ausgrenzung, so Selbert weiter: „Sie schließt eine gleichberechtigte Teilhabe an den Aktivitäten und Lebensbedingungen in unserer Gesellschaft aus“.

Der erste Armutsbericht für den Landkreis Kassel setzt auf den Sozialatlanten des Landkreises der Jahre 2010 und 2012 auf. Selbert: „Wir haben uns jetzt auf die Armutsrisiken und Armutsindikatoren konzentriert“. Die Bandbreite der gesammelten Daten ist umfangreich – ebenso wie die Armutsrisiken. „Die Bandbreite reicht vom Anstieg prekärer Beschäftigungsverhältnisse insbesondere bei Frauen über die mangelnden Bildungschancen von Kindern in sogenannten bildungsfernen Familien bis hin zu den steigenden Pflegekosten, die eine wachsende Zahl von älteren Menschen nicht mehr bezahlen kann“, berichtet die Vizelandrätin, die auch Sozial- und Jugenddezernentin des Landkreises ist.

Nach Zahlen des Statistischen Landesamtes ist in Nordhessen jeder Sechste von Armut bedroht. Grundlage ist die Armutsdefinition der Europäischen Union. Danach gilt als arm, wer als Alleinstehender mit weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens des jeweiligen Landes auskommen muss. In Deutschland sind dies 869 Euro im Monat.

„Wenn man sich die Einkommensentwicklung anschaut, gelten bundesweite Trends auch für den Landkreis Kassel: Die Mittelschicht schrumpft und die Zahlen an beiden Enden des Einkommensspektrums steigen“, berichtet Wolfgang Engelmohr vom Fachbereich Soziales des Landkreises, der die materiellen Armutsaspekte im Bericht bearbeitet hat. Zwischen 2001 und 2007 (neuere Zahlen der Steuerverwaltung liegen noch nicht vor) hat sich die Zahl der Geringverdiener wie auch der besserverdienenden Menschen im Landkreis, deutlich erhöht. Engelmohr: „2001 waren es noch 22.700 Einwohner, die weniger als 15.000 Euro Einkommen hatten – 2007 waren dies rund 41.000 Einwohner“.

Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Landkreiseinwohner mit mehr als 50.000 Euro steuerpflichtigem Einkommen von knapp 15.000 auf über 17.500. Noch klarer wird die Einkommensentwicklung, wenn man die Verteilung des Gesamteinkommens betrachtet. 15,8 Prozent der Steuerpflichtigen im Landkreis Kassel verfügen über 47 Prozent des im Landkreis verfügbaren steuerpflichtigen Gesamteinkommens. „Es gibt keinen Hinweis, dass sich an dieser Entwicklung in den letzten fünf Jahren etwas entscheidendes geändert hat“, betont Vizelandrätin Selbert.

Auch die Entwicklung bei den Beziehern von Hartz-IV-Leistungen führt nicht zur Entwarnung. „Auf der einen Seite sinkt die Zahl derer, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II beziehen – auf der anderen Seite steigt die Zahl derjenigen, die Transferleistungen wie zum Beispiel die Grundsicherung beziehen“, rechnet Engelmohr vor. 2009 gab es 9.217 Bezieher von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II im Kreis – 2012 waren es nur noch 7.895. Im selben Zeitraum stieg die Zahl der Bezieher von Grundsicherungsleistungen von 1.486 auf 1.721. Aktuell sei wieder mit einem leichten Anstieg der Hartz-IV-Bezieher zu rechnen, gleiches gilt im Bereich der Grundsicherung.

„Auf den knapp 60 Seiten des Armutsberichts haben wir die Auswirkungen von Armut auf Kinder und Familien, auf ältere Menschen und auf die gesundheitliche Entwicklung beschrieben, um somit ein möglichst umfassendes Bild aller relevanten Bereiche zu geben“, bilanziert Vizelandrätin Selbert. Ergänzt werden die Daten mit Erfahrungsberichten von Betroffenen, die anonymisiert ihre Situation darstellen. Selbert: „Unser Ziel ist es, mit diesem Bericht deutlich zu machen, welche strukturellen Armutsrisiken es gibt und damit Armut nicht als Einzelschicksal zu betrachten“.
Nur wenn die strukturellen Bedingungen geändert werden, bestehe auch eine Chance Armutsrisiken vorzubeugen.

Der Armutsbericht steht auf der Internetseite des Landkreises Kassel www.landkreiskassel.de zum Download zur Verfügung.

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