Tier-, Umwelt- und Nichtraucherschutz oder das Recht auf eine Wohnung: Die Staatsziele, die jedes Bundesland ganz individuell in seine Verfassung aufnimmt, sind so unterschiedlich wie die jeweiligen politischen Machtverhältnisse. 25 Jahre nach der Wende befasst sich ein wissenschaftliches Projekt an der Universität Leipzig mit den Landesverfassungen. PD Dr. Werner Reutter vom Institut für Politikwissenschaft untersucht seit einem Jahr in dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt „Muster und Determinanten der Verfassungspolitik in den deutschen Bundesländern“ Gemeinsamkeiten und Unterschiede in diesen wichtigen Leitlinien.
„Ich untersuche unter anderem, inwieweit die Verfassungen in den Bundesländern von bundes- und europapolitischen Entwicklungen geprägt sind“, erklärt Reutter und nennt als markantes Beispiel die Schuldenbremse. Diese verfassungsrechtliche Regelung, die 2009 von der Föderalismuskommission zur Begrenzung der Staatsverschuldung beschlossen wurde, sei in einigen Landesverfassungen verankert, in anderen nicht. „Die Verfassungen der Länder sind in den vergangenen Jahren unterschiedlich häufig und in unterschiedlicher Reichweite verändert worden“, sagt der Politikwissenschaftler, der für sein Projekt unter anderem Gespräche mit Landtagsabgeordneten führt und Dokumente wie Zeitungen auswertet.
Während in Sachsen seit Anfang 1992, dem Jahr der Verabschiedung, nur einmal die Verfassung geändert wurde – zur Annahme der Schuldenbremse – habe es in Brandenburg schon acht Änderungen gegeben. Relativ häufig hätten Berlin und Rheinland-Pfalz ihre Verfassungen mit der stets notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament geändert, allerdings seit 1950 beziehungsweise 1947: Berlin 43-mal, Rheinland-Pfalz 37-mal. Grund für diese Unterschiede seien unter anderem die politischen Verhältnisse.
Während im eher konservativen, CDU-regierten Sachsen die Verfassung kaum geändert worden sei, herrsche beispielsweise im Land Brandenburg ein anderes Politikverständnis vor. „Hier wird die Opposition stärker in die Politik einbezogen. In Brandenburg waren von Beginn an viele Staatsziele wie zum Tier- und Umweltschutz und soziale Grundrechte wie das Recht auf eine Wohnung in die Verfassung aufgenommen. In dieser Tradition steht auch die 2013 in die Verfassung aufgenommene Antirassismusklausel“, berichtet Reutter. Der Politikwissenschaftler weist darauf hin, dass all diese Klauseln keinen einklagbaren Rechtsanspruch begründen, sondern eher als politische Bekenntnisse zu betrachten seien. Dies sei auch der Grund, weshalb Staatsrechtler diese Thematik kritisch betrachten.
Im Rahmen seines Projektes, das zunächst bis März 2016 läuft, will Reutter unter anderem die Verfassungen Bayerns, Baden-Württembergs und des Saarlandes unter die Lupe nehmen.