Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat am 10. Februar 2014 ihre Ermittlungen um das tragische Geschehen bei der Loveparade 2010 abgeschlossen und gegen vier Mitarbeiter der Veranstalterin L. GmbH sowie sechs Bedienstete der Stadt Duisburg Anklage bei dem Landgericht Duisburg erhoben. Der Tatvorwurf lautet auf fahrlässige Tötung, fahrlässige Körperverletzung und fahrlässige Körperverletzung im Amt. Gegen sechs Beschuldigte ist das Verfahren eingestellt worden, weil die Ermittlungen keinen hinreichenden Tatverdacht ergeben haben. Gegen weitere Personen ist schon kein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, weil Anhaltspunkte für eine Strafbarkeit zu keiner Zeit vorgelegen haben.
Die Entscheidung bildet den Schlusspunkt intensiver, rund dreieinhalb Jahre dauernder Ermittlungen, mit denen bis zu 96 Polizeibeamte des Polizeipräsidenten Köln sowie fünf Dezernenten und ein Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaft befasst waren. Die dem Landgericht vorgelegte Anklageschrift hat einen Umfang von 556 Seiten. Die Verfahrensakten umfassen insgesamt 76 Bände mit mehr als 37.000 Seiten sowie 623 Sonderbände und Beweismittelordner. Darüber hinaus sind dem Landgericht 19 Kartons mit Asservaten zugeleitet worden. Hinzu kommen Datenträger mit einem Volumen von rund 804 Terabyte und umfangreiches Videomaterial (963 Stunden).
Nach dem Ergebnis der Ermittlungen ist der tödliche Verlauf der Loveparade allein auf zwei Ursachen zurückzuführen. Schwerwiegende Fehler bei der Planung und Genehmigung der Veranstaltung sowie eine unterbliebene Überwachung sicherheitsrelevanter Auflagen am Veranstaltungstag führten dazu, dass 21 Personen starben und mindestens 652 zum Teil schwer verletzt wurden.
Bei den vier Mitarbeitern der Veranstalterin handelt es sich um den Gesamtleiter, den Produktionsleiter, den Verantwortlichen für die Sicherheit sowie den technischen Leiter des Projekts Loveparade 2010. Das von ihnen geplante Zu- und Abgangssystem war nicht geeignet, die Besucher sicher auf das Veranstaltungsgelände im Bereich des ehemaligen Duisburger Güterbahnhofs zu führen. Insbesondere die sogenannte östliche Rampe war deutlich zu eng, um die erwarteten Besucherströme aufzunehmen. Deshalb musste es im Verlauf der Veranstaltung zwangsläufig zu lebensgefährlichen Situationen kommen, da zu viele Menschen auf zu engem Raum zusammengedrängt würden. Bei einer sorgfältigen und pflichtgemäßen Prüfung hätten die Mitarbeiter dies erkennen müssen.
Zur Durchführung der Loveparade war eine Baugenehmigung erforderlich. Ein Team aus drei Bediensteten des Amtes für Baurecht und Bauberatung der Stadt Duisburg prüfte den entsprechenden Antrag der L. GmbH einschließlich der Tauglichkeit des geplanten Zu- und Abgangssystems. Diesen legt die Staatsanwaltschaft zur Last, die beantragte Genehmigung erteilt zu haben, obwohl auch sie hätten erkennen müssen, dass die Veranstaltung wegen der schwerwiegenden Planungsfehler undurchführbar und daher nicht genehmigungsfähig war.
Angeklagt sind ferner drei städtische Bedienstete in leitender Funktion. Es handelt sich um den für das Prüfungsteam zuständigen Abteilungsleiter, die Amtsleiterin und den für Stadtentwicklung zuständigen damaligen Beigeordneten der Stadt Duisburg. Sie unterließen es, das Genehmigungsverfahren ordnungsgemäß zu beaufsichtigen. Hätten sie das ihnen unterstellte Prüfungsteam pflichtgemäß überwacht, wären die schwerwiegenden Planungsfehler erkannt und die Veranstaltung nicht genehmigt worden.
Darüber hinaus verengten Zäune am Veranstaltungstag den ohnehin zu engen Durchgang auf der östlichen Rampe zusätzlich. Nach demErgebnis der Ermittlungen tragen alle zehn Angeklagten auch hierfür die Verantwortung. Die Mitarbeiter der Veranstalterin sorgten nicht dafür, dass die Zäune entfernt wurden, obwohl die Genehmigung vorsah, diesen Bereich frei von Hindernissen zu halten. Die städtischen Bediensteten unterließen es, die Vorgaben der Genehmigung am Veranstaltungstag zu kontrollieren, obwohl sie hierzu verpflichtet waren.
Am Nachmittag des 24. Juli 2010 brach das Zu- und Abgangssystem der Veranstaltung wegen der bereits in der Planung angelegten Fehler zusammen. Zahlreiche Besucher strömten aus verschiedenen Richtungen unkontrolliert auf die östliche Rampe. Zwischen 16.30 Uhr und 17.15 Uhr drängten sich in diesem Bereich mehrere zehntausend Personen. Der Personenstau erreichte seine größte Dichte vor den genehmigungswidrigen Zauneinbauten auf der Rampe. Der immense Druck in dieser Menschenmenge führte zu den genannten Todesfällen und Verletzungen.
Gegen den für Ordnungsangelegenheiten zuständigen Beigeordneten der Stadt Duisburg, leitende Mitarbeiter des Ordnungsamtes und des Bezirksamtes Mitte, den Polizeiführer am Veranstaltungstag sowie den von der Veranstalterin eingesetzten sogenannten Crowd-Manager ist das Verfahren eingestellt worden. Die Ermittlungen haben keinen Tatverdacht ergeben, der eine Anklageerhebung gerechtfertigt hätte.
Zwar waren sie, ebenso wie zahlreiche weitere Mitarbeiter öffentlicher Stellen, auf unterschiedliche Weise in die Planung und Durchführung der Loveparade eingebunden. Ihre Mitwirkung war aber für die tödliche Menschenverdichtung nicht ursächlich. Sie hatten insbesondere keinen umfassenden Einblick in die Planungsunterlagen, der es ihnen ermöglicht hätte, die darin liegenden schwerwiegenden Fehler zu erkennen. Im Übrigen durften sie darauf vertrauen, dass das für die Genehmigung der Veranstaltung zuständige Amt für Baurecht und Bauberatung die allein ihm obliegende Prüfung der baulichen Planungen sorgfältig durchführen würde. Andere Ereignisse am Veranstaltungstag sind strafrechtlich nicht relevant geworden. Insbesondere die polizeilichen Maßnahmen waren nach den Feststellungen eines international anerkannten Sachverständigen weder für sich genommen noch insgesamt ursächlich für den tragischen Ausgang der Loveparade. Die Staatsanwaltschaft hat auch intensiv geprüft, ob die Verantwortlichen vor Ort, namentlich der diensthabende Polizeiführer, Maßnahmen unterließen, die den tödlichen Ausgang des Geschehens noch hätten abwenden können.
Die Ermittlungen haben diesen Vorwurf allerdings nicht bestätigt. Die drohende Gefahr von Todesfällen und Verletzungen am Veranstaltungstag war entgegen anders lautenden Medienberichten nicht bereits am frühen Nachmittag, sondern erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt erkennbar, als es ausweislich der Feststellungen des Sachverständigen nicht mehr möglich war, das weitere Geschehen aufzuhalten.
Es besteht kein Grund, Ermittlungen gegen weitere Personen einzuleiten. Dies betrifft insbesondere den damaligen Oberbürgermeister der Stadt Duisburg und den Geschäftsführer der Veranstalterin. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sie selbst Einfluss auf die fehlerhafte Planung oder die Erteilung der rechtswidrigen Genehmigung genommen haben. Sie durften auch darauf vertrauen, dass die für die Planung und Genehmigung Verantwortlichen das Vorhaben aufgrund ihrer Fachkenntnisse ordnungsgemäß prüfen würden.