Mit 66 ist noch lang noch nicht Schluss – Was Udo Jürgens vor Jahrzehnten fröhlich auf die Lebensfreude im Allgemeinen bezog, trifft für die Senioren von heute selbstverständlich auch auf ihre Sexualität zu. Gefühle, Erotik und Lust hören weder mit 40 noch mit 60 oder 75 auf. Sie verändern sich im Alter. Doch trotz häufiger körperlicher Beschwerden können oft gerade Ältere ihre Sexualität freier und erfüllter erleben als Jüngere. Falls nicht, gibt es viele Möglichkeiten, sich zu helfen – oder helfen zu lassen.
Zu den größten Problemen gehört es, dass beim Thema „Sexualität“ nach wie vor bei den meisten die Offenheit aufhört. Entweder spricht man gar nicht drüber oder reicht Klischees und Mythen weiter: 20-Jährige denken, mit 50 sei Schluss, 40-Jährige glauben, mit 70 höre die sexuelle Aktivität auf. Eine Ahnung davon, dass Sex auch und gerade im Alter ein wichtiges Thema für Männer und Frauen ist, vermitteln höchstens ab und zu Filme wie „Wolke 9“. Ungewöhnlich offen zeigte der Film, dass Lust, Begehren und Erotik keineswegs aus dem Alltag älterer Menschen verschwinden. „Sex hat nichts mit dem Alter, sondern nur mit den persönlichen Vorlieben zu tun“, sagt Dr. Astrid Maroß, Ärztin im AOK-Bundesverband.
Zufriedene Senioren
Eine Studie der Universität Rostock zeigt, dass die meisten älteren Männer und Frauen sich dabei ihr Leben lang treu bleiben: Wer als junger Mensch sexuell aktiver war, bleibt es eher auch im Alter. Wer schon früher kein großes Interesse daran hatte, entwickelt in der Regel später auch kein größeres Bedürfnis. Demnach sind viele Senioren auch durchaus zufrieden mit ihrer Sexualität. Bei den 63-Jährigen sind es 57 Prozent, bei den 75-Jährigen 70 Prozent. Mit zunehmendem Alter werden zudem auch kleine Zärtlichkeiten wie Händchen halten, körperliche Nähe und vorm Einschlafen noch einmal aneinander kuscheln immer wichtiger.
Den älter werdenden Körper akzeptieren
„Man entwickelt sich in jeder Hinsicht einfach weiter – entscheidend ist, dass die Männer und Frauen mit dem zufrieden sind, was sie erleben“, sagt Maroß. Am allerwichtigsten dabei ist es, den älter werdenden Körper und auch die körperlichen Einschränkungen zu akzeptieren. Auch wenn Wunsch und Wille da sind, können natürlich Erkrankungen dazu führen, dass man nur noch eingeschränkt sexuell aktiv sein kann. Die häufigsten Störungen bei Männern und Frauen – und was dagegen zu tun ist:
Potenzstörungen
Während bei jüngeren Männern das Problem meist eine Sache des Kopfes ist, stecken bei den über 50-Jährigen zunehmend körperliche Ursachen dahinter. Das können Gefäßverkalkungen, Diabetes, Hormonstörungen oder auch Nervenschäden nach einer Prostata-Operation sein. Auch Medikamente können Potenzstörungen auslösen. „Leider gibt es bei den Betroffenen eine große Scham, so dass der Arzt oft gar nichts von dem Problem erfährt“, sagt Maroß. In vielen Fällen kann der behandelnde Arzt helfen, wenn er um das Problem weiß und dann gemeinsam mit dem Patienten nach Lösungen suchen.
Trockene Scheide
Mit zunehmendem Alter produziert der Körper der Frau weniger Östrogene. Dadurch ist die Scheide schlechter durchblutet und wird langsamer feucht, so dass der Verkehr dadurch schmerzen kann. „Das Problem lässt sich jedoch gut mit einer lokalen Östrogenbehandlung oder auch mit speziellen Gleitmitteln behandeln“, sagt Maroß.
Harn-Inkontinenz beim Geschlechtsverkehr
Es kommt vor, dass Frauen beim Sex ihre Blase nicht mehr richtig kontrollieren können und sie sich deshalb schämen. Auch hier gibt es Möglichkeiten von Beckenboden-Training über Medikamente bis zur Operation, die auf den Einzelfall abgestimmt sein müssen.
Allgemeine Lustlosigkeit
Gleichermaßen können Männer und Frauen von allgemeiner Lustlosigkeit in punkto Sex betroffen sein – was allerdings keine Frage des Alters ist. Dahinter können zum Beispiel Desinteresse stecken, ohne dass ein Leidensdruck da ist, aber auch körperliche oder psychische Erkrankungen wie Depressionen, Unwohlsein mit dem eigenen Körper oder Hormonstörungen. Auch hier können Männer und Frauen viel tun. Der erste Schritt auf dem Weg zurück zu mehr Lust statt Frust besteht darin, gemeinsam mit dem Partner über mögliche Ursachen zu sprechen.
„Bei Alten wie bei Jungen ist das das größte Problem“, sagt Maroß. Die Paare sprechen nicht ausreichend über ihre Bedürfnisse, Wünsche und vor allem über ihre veränderte Sexualität im Alter. Einige fühlen sich mit ihren Wünschen nicht wahrgenommen, andere halten sich nicht mehr für attraktiv genug, oft gibt es auch ein unterschiedliches Bedürfnis an Zärtlichkeiten bei Männern und Frauen, mancher Mann setzt sich nach wie vor unter Leistungsdruck beim Sex. „Spricht man offen darüber, entstehen Nähe und Verständnis für den anderen. Oft findet man schon auf diesem Wege zurück zur gemeinsamen Sexualität“, sagt Maroß. Auch Ärzte, Beratungsstellen und Therapeuten können hier weiter helfen.
Warum sich das alles auch im höheren Alter noch lohnt? Dafür gibt es viele Gründe:
- Das gemeinsame Erleben der Lust stärkt die Partnerschaft.
- Man muss sich gegenseitig nichts mehr beweisen.
- Der Sex kann im Alter eine andere Qualität als in jungen Jahren bekommen: Die Partner gehen bewusster, erfahrener miteinander um.
- Neben dem rein körperlichen Akt geht es zunehmend auch um Nähe, Rituale, Zärtlichkeiten und Vertrauen.
- Anders als zu Teenager-Zeiten oder als junge Eltern kann man den Geschlechtsverkehr sorglos genießen, ohne sich um Verhütung oder den Nachwuchs kümmern zu müssen.
- Ganz nebenbei hilft Sex auch dabei, den Kopf besser fit zu halten. „Schließlich zählt er mit den zu körperlichen Aktivitäten – und die halten den Geist jung“, sagt Maroß.