Aus Anlass des 75. Jahrestages der Reichpogromnacht 1938 veranstalten Stadt Braunschweig und Jüdische Gemeinde Braunschweig am 9. November 2013
um 19 Uhr im Großen Saal der Stadthalle die Gedenkveranstaltung „Zerstörte Hoffnung – Ein temporäres Memorial“. Das Memorial ist ein Projekt der Braunschweigischen Landschaft e. V. in Zusammenarbeit mit dem Staatstheater Braunschweig.
1875 war die Braunschweiger Synagoge in der Knochenhauer Straße feierlich eingeweiht worden. In den Redebeiträgen der Feier kam eine große Hoffnung auf eine größere soziale und politische Teilhabe jüdischer Menschen, ihrer Gemeinschaften und sonstigen Einrichtungen im gerade gegründeten zweiten Deutschen Reich zum Ausdruck. Eine bis dahin nicht gekannte Integration in eine moderne, von Industrialisierung, bedeutenden wissenschaftlichen Entwicklungen und neuem Kunst- und Kulturbewusstsein geprägte Gesellschaft schien möglich. Nur 63 Jahre später wurden diese Hoffnungen in der sogenannten Reichspogromnacht 1938 beendet: Die Braunschweiger Synagoge wurde zerstört.
In diesem Jahr findet in einer Projekt-Aufführung die Rekonstruktion der Einweihung der zerstörten Braunschweiger Synagoge statt. Die Trauer und Enttäuschung über das Unrecht, das den Juden im Nationalsozialismus angetan wurde, soll mit dem Rekonstruktions-Projekt in ein temporäres Memorial einfließen.
Das Projekt steht konzeptionell in enger Verbindung mit dem Benefiz-Gedenk-Konzert anlässlich des 70. Jahrestages der Reichspogromnacht, das 2008 unter der Eisenbahnbrücke über die Helmstedter Straße stattgefunden hat. Entstehen wird im Großen Saal der Stadthalle nach der Konzeption von Orchesterdirektor Martin Weller ein „Raum im Raum“ mit rund 800 Sitzplätzen und einer Bühne. In dem dann komplett dunklen und maximal 18 Grad kühlen Raum sollen Rezitation, Chorgesang und konzertante Elemente den Besuchern des Memorials eine Annäherung an die feierliche Einweihungszeremonie von 1875 ermöglichen.
Maßgeblichen Anteil an dieser Rekonstruktion hat Jonah Sievers, Landesrabbiner in Niedersachsen. Er hat nicht nur den Impuls für die Rekonstruktion gegeben. Ihm ist auch der Fund der Original-Beiträge der Einweihungsfeierlichkeiten von 1875 zu verdanken, ohne die das Memorial nicht möglich gewesen wäre. „Ich hoffe, dass dieses Temporäre Memorial aufzeigt, wie die Hoffnungen der Juden in Braunschweig, die sie an ihre Heimat Deutschland hegten, auf das Schändlichste verraten wurden“, betont Sievers.
Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Renate Wagner-Redding bekräftigt: „Die Enttäuschung der Mitglieder der Jüdischen Gemeinde in Braunschweig, aber auch generell in ganz Deutschland darüber war groß, dass nichts mehr gezählt hat, was die jüdische Gemeinschaft für ihr vermeintliches Vaterland seit der Verleihung des Bürgerrechtes getan hatte. Ich denke hier an die zahlreichen Beiträge für Kultur, Wirtschaft und Gemeinwesen.“
„Nach den furchtbaren Erfahrungen der Jüdischen Gemeinde in den Jahren des Nationalsozialismus und einer schwierigen Zeit des Neubeginns bin ich sehr dankbar für das gegenseitige Vertrauen, das unsere Zusammenarbeit seit vielen Jahren prägt. Auch in diesem Jahr kooperieren wir anlässlich des Gedenktages am 9. November. Mit dem Staatstheater haben wir in diesem Jahr einen Partner an unserer Seite, der das außergewöhnliche und besondere Projekt künstlerisch umsetzt,“ führt Bianca Winter, Fachbereichsleiterin Kultur der Stadt Braunschweig, aus.
Martin Weller, Orchesterdirektor des Staatsorchesters Braunschweig und Leiter der Arbeitsgruppe Musik in der Braunschweigischen Landschaft, obliegt die Dramaturgie der Veranstaltung. „Nach dem Gedächtnisraum unter der Eisenbahnbrücke über die Bundesstraße 1, der am 9. November 2008 für wenige Stunden als Konzertsaal eingerichtet worden war, handelt es sich hier um einen zweiten Versuch, Gedächtniskultur durch ein temporäres Memorial in bestimmter Weise zu entwickeln“, so Weller in seinen konzeptionellen Überlegungen. „Geprägt ist dieses Unterfangen von dem Bemühen zu verhindern, dass gesellschaftliche Erinnerungsnotwendigkeiten vornehmlich in die offenbar unwirksamer werdenden Ausformungen museal-statischer Denkmäler sowie ritueller und politischer Handlungen entsorgt werden. Stattdessen soll in zeitweiligen Anstrengungen zur Errichtung vergänglicher Erinnerungsräume eine ethische Verantwortung der sozialen Fürsorge und der Fähigkeit zum Mitleiden fühlbar werden.“
Und Joachim Klement, Generalintendant des Staatstheaters Braunschweig stellt abschließend zusammenfassend fest: „Zerstörte Hoffnung – Ein temporäres Memorial“ ist nicht allein historische Erinnerung sondern auch eine künstlerische und politische Intervention, die uns Mut macht, die Hoffnung nicht aufzugeben.“
Der Eintritt zu der Veranstaltung ist kostenlos. Wegen der begrenzten Plätze (freie Platzwahl) ist eine Einlasskarte erforderlich, die im Staatstheater Braunschweig oder in der Tourist-Information, Vor der Burg 1, erhältlich ist. Die Karten können auch online über die Internet-Seite des Staatstheaters reserviert werden.
Aufgrund der künstlerischen Konzeption wird während des Memorials im Saal der Stadthalle eine Raumtemperatur von maximal 18 Grad herrschen.