Gefühle sind eigentlich nicht so Mirkos Ding. Zumindest nicht wenn es darum geht, sie in Worte zu fassen. Das ist der 10-Jährige nicht gewöhnt. Zu Hause schweigt seine Mutter meistens. Sätze wie „Ich hab‘ dich lieb“ oder „Das hast du gut gemacht“ kommen ihr nicht über die Lippen. Die Beziehung zwischen den beiden ist schwierig. Mirko reagiert mit Aggressionen, wird in der Schule auffällig, kann sich nicht einfügen. Auch er ist stumm geworden. Seine Seele scheint eingeschlossen, umgeben von einer Mauer aus Sprachlosigkeit. Aber wenn er zu Pinsel und Farbe greift gelingt es ihm, sich mitzuteilen. Dann wachsen seiner Seele Flügel.
„Wenn die Sprache fehlt, ist die Kunst ein wichtiges Ventil, Emotionen zu spüren und auszudrücken“, weiß Ilona Betker. Die Heilpädagogin in Ausbildung betreut junge Künstler im Rahmen der heilpädagogischen Kunsttherapie auf einer Kinderstation in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Marl-Sinsen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL).
Bei einem Besuch von Kolleginnen unterschiedlicher Berufsgruppen aus dem LVR-Klinikum Essen präsentierte Betker die Kunstwerke der jungen Künstler und gab einen interessanten Einblick in ihr Projekt.
„Viele unserer jungen Patienten kommen aus schwierigen Lebenssituationen. Etwa, weil ein Elternteil psychisch krank ist, es familiäre Probleme gibt oder sie in einer Wohngruppe nicht zurechtkommen“, so Betker. Fast alle hätten Probleme, sich auf Beziehungen einzulassen. Die gemeinsame künstlerische Aktivität funktioniere wie eine Brücke zu den Kindern. Sie wirke sich positiv auf die therapeutische Arbeit aus. “ Kinder, die durch häufige Äußerungen wie: Du kannst nichts!‘ nahezu erstarren, kommen wieder ins Handeln, entdecken neue Fähigkeiten.“
Mirko hat ein Herz gemalt. Eines, das umschlossen ist von Steinen. Nur ein kleines Eckchen leuchtet golden. Das ist ihm wichtig. Genauso, wie dieses Bild zu zeigen, den kleinen Mitpatienten, den Mitarbeitern auf der Station. Und – seiner Mutter. Die ist sehr angetan von dem Kunstwerk ihres Sohnes: „Das hätte ich ihm gar nicht zugetraut“, staunt sie.
„Durch solche positiven Erfahrungen kommen die Kinder häufig wieder in Kontakt zu ihren Eltern“, so Betker, „Da gibt es etwas, auf das beide stolz sein können.“ Deshalb sei es auch so wichtig, dass alle Bilder gut sichtbar auf der Station präsentiert werden. Natürlich mit Künstlernamen und Titel. Genau wie in einer Galerie.
„Herzschmerz“ nennt Mirko sein Kunstwerk. „Seelenvogel“ heißt ein anderes Objekt, das im Rahmen einer Gruppenarbeit entstanden ist. Ein gleichnamiges Gedicht erzählt von Gefühlen wie Traurigkeit, Einsamkeit, Wut, Enttäuschung und Freude, die dieser Vogel in kleinen Schubladen in seinem Gefieder aufbewahrt. „Wir haben das Gedicht gemeinsam gelesen und uns gefragt, ob wir diese Gefühl kennen, schon einmal gespürt haben“, erzählt Betker.
Anschließend haben die Kinder ihren Seelenvogel gemalt und die „Gefühlsschubladen“ eingearbeitet. Nicht selten knüpfe sich nach der Fertigstellung eines Bildes ein neues Projekt an: Eines, in dem die Kinder gemeinsam mit ihren Eltern malen, die Großen sich von den Kleinen anleiten lassen. Fast ein kleiner Rollentausch. Und auch das sei eine schöne Erfahrung für beide Teile, so die angehende Heilpädagogin Betker.
Hintergrund:
Auf der Station 3a der LWL-Klinik Marl-Sinsen werden Kinder im Alter von sieben bis zwölf Jahren behandelt. Die häufigsten Aufnahmegründe sind neben ADS und ADHS emotionale Störungen wie Bindungsstörungen, Anpassungsstörungen, frühe Essstörungen sowie Einnässen/Einkoten.
Die Haardklinik ist mit 119 vollstationären Behandlungsplätzen eine der größten Fachkliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in Deutschland. Angeschlossen sind sechs Tageskliniken in Recklinghausen, Herne Coesfeld, Borken, Gronau und Bottrop mit weiteren 58 Therapieplätzen. Behandelt werden Kinder und Jugendliche mit Störungen der psychischen Gesundheit im Alter von fünf bis 18 Jahren.
LWL-Einrichtung:
LWL-Klinik Marl-Sinsen
Haardklinik
Halterner Str. 525
45770 Marl
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