Das Zerrbild zwischen Wirklichkeit und Nostalgie in der Landwirtschaft ist so ausgeprägt wie in keinem anderen Wirtschaftszweig. Wenn ein neues, technologisch ausdifferenziertes Auto auf den Markt kommt, weiß jeder, dass nicht vierzig Monteure jede Schraube einzeln eingedreht, jede Naht selbst geschweißt haben. Hier wird der technische Fortschritt – teils neidvoll – anerkannt. Anders, wenn es um essbare oder trinkbare Produkte geht. Bei Milchprodukten wird teils erwartet, dass die Sennerin auf der Alm persönlich die Milchsäure rechts herum dreht – am besten noch im Dirndl mit Alphörnern und Glockengeläut im Hintergrund. Dass der Landwirt bereits seit Jahrzehnten seine Produkte selten selbst verarbeitet oder veredelt, spielt dabei nur eine Nebenrolle.
Wie Landwirte heutzutage tatsächlich arbeiten, wissen oft nur sie selbst oder anhängende Industriezweige. Nämlich in den meisten Fällen höchst modern und effizienzorientiert. Die Struktur allerdings scheint sich zu ändern. Weltweit ist ein Trend zu beobachten, weg von familiären Strukturen hin zur Investoren-Landwirtschaft. „Im Wettbewerb um beschränkte Faktoren, wie Boden, sind die nicht familiengeprägten Kapitalgesellschaften auf dem Vormarsch“, sagte Carl-Albrecht Bartmer, Präsident der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) auf dem BäuerinnenForum 2014 in Berlin. Solche Investoren hätten nur Rendite im Sinn und keine Verpflichtungen gegenüber dem Ort der Investition. Bartmer betonte aber, dass es nicht DEN Investor und nicht DEN bäuerlichen Betrieb gebe, sondern viele Grauzonen: „Es gibt auch innerhalb von Familienbetrieben solche Strukturen. Banken als Investoren, GmbHs in Tierhaltungsbetrieben, et cetera. Es gibt also keinen Biotop-Charakter.“
Für Brigitte Scherb, Präsidentin des Deutschen LandFrauenverbandes, stellt sich die Frage nicht, welche Struktur in der Erwerbslandwirtschaft ihr Favorit ist: „Der Idealfall ist, wenn Leitung, Management, Kapital, Boden, Verantwortung und das Risiko innerhalb der Familie liegen.“ Nur so könne eine schnelle Reaktion in einem volatilen Markt erfolgen. Bartmer sieht zusätzliche Vorteile wie die Elastizität der familieneigenen Arbeitskräfte. „Wenn meine Kuh nachts kalbt, gehe ich selbstverständlich raus. Gehört sie aber einer Kapitalgesellschaft, überlege ich mir das vielleicht“, so der DLG-Präsident. Auch die lokale Vernetzung und die Flexibilität der Eigenkapitalbindung sieht Bartmer als enorme Vorteile der familiären Struktur. Man solle aber keinen Schutz von politischer Seite fordern. Eine Umarmung mit Rahmenbedingungen könne auch erdrücken. Allerdings sei ein Umdenken erforderlich: „Alles muss auf dem OP-Tisch seziert werden.
Vor allem Themen wie die Stickstoffbilanz oder eingesetzte Energie.“ Beides Themen, bei denen die Fronten zwischen Produzentenverbänden und Kritikern extrem verhärtet scheinen. Bartmer fordert aber Transparenz und eine aktive Lösung: „Nachhaltigkeit muss messbar werden und Landwirte müssen das nachweisen. Wir müssen darüber sprechen, was wir tun, dann haben wir auch bessere Argumente.“
Warum das Bild der Landwirtschaft noch immer nostalgisch verklärt ist, könnte an jahrzehntelanger Werbung mit immer gleichen Erwartungsmustern liegen oder aber der noch zu geringen öffentlichen Wahrnehmung der gesamten Lebensmittelkette. Die Frage aber, die immer populärer wird ist: „Wo kommt mein Essen eigentlich her und wie wird es gemacht?“ Und das ist gut so.
Harald Seitz, www.aid.de