Schildkröten haben einen ganz
eigentümlichen Mechanismus
Schildkröten haben einen ganz eigentümlichen Mechanismus für die Atmung entwickelt, weil ihre Rippen in den Panzer umgewandelt wurden: Mit speziellen Muskeln sorgen sie für den Ein- und Ausstrom der Luft. Wie die Atmung dieser Kriechtiere im Lauf der Evolution entstanden ist, hat ein internationales Forscherteam unter Beteiligung des Doktoranden Markus Lambertz vom Institut für Zoologie der Universität Bonn herausgefunden. Die Ergebnisse werden nun im Fachjournal „Nature Communications“ vorgestellt.
Schildkröten sind durch ihren Panzer vor Feinden gefeit, jedoch mussten sie hierfür ungewöhnliche Anpassungen durchlaufen: Die Rippen wandelten sich in die schützende Körperumhüllung um. „Keine anderen Tiere haben solch eine Entwicklung durchlaufen. Der Grund ist höchstwahrscheinlich, weil die Rippen bei den meisten Säugetieren, Vögeln, Krokodilen und Kriechtieren eine ganz entscheidende Funktion für die Atmung haben“, sagt Erstautor Dr. Tyler Lyson von der Smithonian Institution in Washington D.C. und vom Denver Museum of Nature and Science (USA).
Obwohl die eigenartigen Kriechtiere schon lange Gegenstand der Forschung sind, ist erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirklich verstanden, wie Schildkröten es schaffen, ohne Rippen zu atmen. Die Muskeln für die Einatmung sitzen an den Flanken, wo sich auch die Beine der Tiere befinden. „Die Muskeln ragen kuppelförmig in den Panzer hinein. Wenn sie kontrahieren, werden sie flach. Durch das dann größere Volumen entsteht ein Unterdruck, der die Atemluft ansaugt“, erklärt Markus Lambertz, Doktorand am Institut für Zoologie der Universität Bonn. Andere Muskeln umhüllen den Eingeweidesack der Schildkröten und pressen beim Zusammenziehen gegen die Organe, wodurch die Luft wieder ausströmt.
Ungepanzerter Vorläufer verfügte bereits über spezielle Atemmuskeln
„Wie und vor allem wann dieser eigentümliche Mechanismus entstanden ist, war bislang unklar“, berichtet Lambertz. Das internationale Forscherteam aus den USA, Südafrika, der Schweiz und von der Universität Bonn verglich die für das Ventilationssystem zuständige Muskulatur moderner und fossiler Arten. Das älteste Exemplar war ein rund 260 Millionen Jahre altes Fossil aus Südafrika. Der „Eunotosaurus africanus“ genannte Vorläufer verfügte noch über Rippen, wies aber bereits eine Atemmuskulatur auf wie moderne Schildkröten. „Eunotosaurus africanus ist das fehlende Bindeglied zwischen dem frühen Bauplan von Reptilien und dem moderner Schildkröten – eine Art Archaeopteryx der Schildkröten“, fasst Dr. Lyson das Ergebnis zusammen.
Durch den Vergleich noch lebender und fossiler Schildkrötenarten konnte das internationale Forscherteam nun nachweisen, wie sich das ungewöhnliche Atmungssystem im Lauf der Jahrmillionen entwickelte. In dem Maße, wie sich die Rippen dieser Kriechtiere zunehmend verbreiterten und den Rumpf versteiften, erwies sich die spezielle Atmung zunehmend als Vorteil.
Der Panzer entwickelte sich erst 50 Millionen Jahre später
In der Evolution entwickelte sich also zuerst der eigenartige Atmungsmechanismus. Er erwies sich später als notwendige Voraussetzung für die Ausbildung eines schützenden Panzers. „In der Theorie ist natürlich klar, dass die Schildkröten nicht zuerst ihre Rippen umgestalteten und sich dann »fragten«, wie sie noch atmen können“, sagt Diplom-Biologe Lambertz. Überraschend sei jedoch, dass das Atemsystem bereits 50 Millionen Jahre vor dem Auftreten der ersten gepanzerten Schildkröten entstanden ist.
Publikation: Tyler R. Lyson, Emma R. Schachner, Jennifer Botha-Brink, Torsten M. Scheyer, Markus Lambertz, G.S. Bever, Bruce Rubidge, Kevin de Queiroz (2014): Origin of the unique ventilatory apparatus of turtles, Nature Communications 5: 5211, DOI: 10.1038/ncomms6211