Als der Engel seine Flügel bekam

Auf dem Genesis-Wandbehang sind der Kopf und Schulterbereich eines Engels mit Flügeln zu erkennen. Er geht nach rechts und weist mit seiner rechten Hand nach vorn, wendet sich mit dem Kopf aber zurück zu einem Mann am linken Rand des Behanges, der Joseph darstellt. Das Textil stammt aus der Mitte des 4. Jahrhunderts und ist in der Abegg-Stiftung in Riggisberg (Schweiz) zu sehen. Inv. Nr. 4185 (c) Foto: Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg (Christoph von Viràg)
Auf dem Genesis-Wandbehang sind der Kopf und Schulterbereich eines Engels mit Flügeln zu erkennen. Er geht nach rechts und weist mit seiner rechten Hand nach vorn, wendet sich mit dem Kopf aber zurück zu einem Mann am linken Rand des Behanges, der Joseph darstellt. Das Textil stammt aus der Mitte des 4. Jahrhunderts und ist in der Abegg-Stiftung in Riggisberg (Schweiz) zu sehen. Inv. Nr. 4185 (c) Foto: Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg (Christoph von Viràg)

Gerade in der Vorweihnachtszeit
sind Engel allgegenwärtig

Gerade in der Vorweihnachtszeit sind Engel allgegenwärtig: Sie zieren Fenster, Adventsschmuck und Weihnachtsmärkte. Jedes Kind erkennt sie an ihrem typischen Merkmal: den Flügeln. Doch Engel waren nicht von Anfang an geflügelte Wesen. Das lässt sich an der Datenbank „14CAUB“ der Abteilung Christliche Archäologie der Universität Bonn nachvollziehen, in der vor allem Fakten zur Altersbestimmung von Textilien aus der Spätantike des ersten Jahrtausends vor und nach Christus gesammelt werden. Auf einzigartige Weise sind diese Daten mit archäologischen und technologischen Informationen zu den Geweben verknüpft.

Die Marienseide zeigt einen Engel ohne Flügel: Seine Kleidung besteht aus einer knielangen Tunika und Mantel. Seine rechte Hand hat er zu einer Rede- oder Grußgeste erhoben, in der linken hält er einen Stab. Das Exponat wird ins späte 4. oder frühe 5. Jahrhundert datiert und ist in der Abegg-Stiftung in Riggisberg (Schweiz) zu sehen. Inv. Nr. 3100b (c) Foto: Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg (Christoph von Viràg)
Die Marienseide zeigt einen Engel ohne Flügel: Seine Kleidung besteht aus einer knielangen Tunika und Mantel. Seine rechte Hand hat er zu einer Rede- oder Grußgeste erhoben, in der linken hält er einen Stab. Das Exponat wird ins späte 4. oder frühe 5. Jahrhundert datiert und ist in der Abegg-Stiftung in Riggisberg (Schweiz) zu sehen. Inv. Nr. 3100b (c) Foto: Abegg-Stiftung, CH-3132 Riggisberg (Christoph von Viràg)

Ursprünglich wurden Engel als männliche Figur, häufig in kurzem Gewand und mit einem Stab, dargestellt. „Engel sind in der christlichen Ikonographie zunächst einfach Boten, die den Menschen Nachricht und Hilfe von Gott überbringen“, sagt Prof. Dr. Sabine Schrenk von der Abteilung Christliche Archäologie der Universität Bonn. Es dauerte noch bis in die Mitte des 4. Jh. n. Chr., bis erste Abbildungen von geflügelten Engeln auftauchten. „Offenbar handelt es sich bei dieser Weiterentwicklung um eine Verschmelzung des himmlischen Boten mit der geflügelten Siegesgöttin Victoria aus der römischen Mythologie“, berichtet Katharina Neuser, Mitarbeiterin von Prof. Schrenk. Dieses Engelbild ist uns auch heute noch vertraut.

Wann der Engel seine Flügel bekam, lässt sich an Textilien aus der Spätantike nachvollziehen: Die so genannte „Marienseide“ im Textilmuseum der Abegg-Stiftung in Riggisberg (Schweiz), die ungefähr ins späte 4. oder frühe 5. Jh. datiert werden kann, zeigt noch einen Götterboten ohne Flügel. Im selben Museum ist auf dem etwas älteren „Genesis-Wandbehang“, auf dem alttestamentarische Szenen dargestellt werden, schon eine Figur mit großen Flügeln zu erkennen. Die Kombination aus Radiokarbon- und stilistischer Methode ergibt seine sichere Datierung in die Mitte des 4. Jh. „Es handelt sich dabei um die älteste Engelsdarstellung mit Flügeln“, sagt Neuser.

Sichere Altersbestimmung durch zwei verschiedene Methoden

„Bislang finden sich kaum archäologische Forschungsansätze, in denen Textilien als Datierungshilfen herangezogen werden“, sagt Prof. Schrenk. Das Beispiel des Genesis-Wandbehangs zeige aber, wie wertvoll die Zusammenstellung datierter Gewebe in der Datenbank 14CAUB (www.textile-dates.info) ist. Es handelt sich dabei um ein Projekt der Christlichen Archäologie der Universität Bonn, das durch die Gielen-Leyendecker-Stiftung gefördert wird.

Die Datenbank umfasst inzwischen 269 Textilien, unter anderem Wandbehänge, Gewänder und Mumien aus dem ersten Jahrtausend vor Christus bis zum ersten Jahrtausend nach Christus, erläutert Mitarbeiterin Neuser. Dies sei eine einzigartige Grundlage zur kulturhistorischen Einordnung von Textilien. Denn in dieser Datenbank sind erstmals Gewebe öffentlich zugänglich erfasst, deren Alter mit der Radiocarbonmethode bestimmt wurde. Seit kurzem erscheinen auch Textilien, die durch historische Informationen anhand von zum Beispiel archäologischen Schichten oder Inschriften datiert sind. „Beide Methoden ergeben endlich eine sichere zeitliche Einordnung“, ist Archäologin Schrenk überzeugt.

Die Radiocarbonmethode nutzt organische Materialien, zu denen zum Beispiel auch Seide, Wolle und Leinen zählen. Anhand des Zerfalls von radioaktiven Kohlenstoff-14-Isotopen lässt sich das Alter der Textilien errechnen. Die Christliche Archäologie der Universität Bonn trägt die in Publikationen veröffentlichten Informationen zu fest datierten Textilien, aber auch die noch nicht publizierten Angaben von Kollegen in diese Datenbank ein. Als nächster Schritt sollen nun auch Fotos von den Geweben in „14CAUB“ eingestellt werden.

Zahlreiche Wissenschaftler nutzen die Daten zu den teils farbig leuchtenden und hinreißend schönen Textilien, um zum Beispiel mehr über Kleidung, Färbetechniken, Schafzucht und Handelswege in der Zeit der Spätantike, wie auch über die Symbolik des frühen Christentums zu erfahren. „Das Schulbuchwissen endet häufig mit den Römern und beginnt dann erst wieder im Mittelalter. Zur Spätantike gibt es noch viel zu erforschen“, machen Prof. Schrenk und Mitarbeiterin Neuser deutlich.

Datenbank „14CAUB“ im Internet unter www.textile-dates.info

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