Wie das Gehirn das Scharf-Sehen vorgaukelt

Der Daumennagel am Ende eines ausgestreckten Arms: Das ist der Bereich, den das Auge tatsächlich scharf sehen kann. Wie der Rest der Welt trotzdem scharf erscheint, haben Forscher der Universität Bielefeld untersucht. Foto: Universität Bielefeld
Der Daumennagel am Ende eines ausgestreckten Arms: Das ist der Bereich, den das Auge tatsächlich scharf sehen kann. Wie der Rest der Welt trotzdem scharf erscheint, haben Forscher der Universität Bielefeld untersucht. Foto: Universität Bielefeld

Wer glaubt, die Welt um sich herum
wirklich scharf zu sehen, der irrt

Wer glaubt, die Welt um sich herum wirklich scharf zu sehen, der irrt. Tatsächlich können unsere Augen nur einen Bruchteil der Umgebung präzise abbilden. Wie das Gehirn das Scharf-Sehen vorgaukelt, das haben Psychologen der Universität Bielefeld mit einer Experimentreihe untersucht. Ihre Ergebnisse stellen sie in der Oktober-Ausgabe des Fachmagazins „Journal of Experimental Psychology: General“ vor. Ihr zentraler Befund: Beim Sehen greift das Nervensystem auf frühere Seherfahrungen zurück, um vorauszusagen, wie unscharfe Objekte scharf aussehen würden.

„In unserer Studie beschäftigen wir uns mit der Frage, warum wir glauben, die Welt scharf zu sehen“, sagt Dr. Arvid Herwig von der  Forschungsgruppe Neurokognitive Psychologie der Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft. Die Gruppe gehört auch zum Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (CITEC) der Universität Bielefeld und wird von Professor Dr. Werner X. Schneider geleitet.

Allein die Fovea – die zentrale Stelle der Netzhaut – kann Objekte scharf abbilden. Deshalb dürften wir eigentlich nur einen schmalen Bereich unserer Umwelt wirklich präzise sehen. Dieser Bereich entspricht etwa dem Daumennagel am Ende eines ausgestreckten Arms. Alle Seheindrücke, die außerhalb der Fovea auf die Netzhaut treffen, werden hingegen zunehmend unscharf abgebildet. Dennoch haben wir für gewöhnlich den Eindruck, einen Großteil unserer Umwelt scharf und detailliert wahrzunehmen.

Mit einer Reihe von Lernexperimenten sind Herwig und Schneider diesem Phänomen auf den Grund gegangen. Ihr Ansatz geht davon aus, dass Menschen im Laufe ihres Lebens in unzähligen Blickbewegungen lernen, den unscharfen Seheindruck von Objekten außerhalb der Fovea mit dem scharfen Seheindruck nach der Blickbewegung zum interessierenden Objekt zu verknüpfen. So wird zum Beispiel der unscharfe Seheindruck eines Fußballs (verschwommenes Bild des Fußballs) mit dem scharfen Seheindruck nach der Blickbewegung zum Fußball verknüpft. Sieht eine Person im Augenwinkel unscharf einen Fußball, vergleicht ihr Gehirn dieses aktuelle Bild mit gespeicherten Bildern von unscharfen Objekten. Findet das Gehirn ein passendes Bild, ersetzt es den unscharfen Eindruck durch ein präzises Bild aus dem Gedächtnis. Der unscharfe Seheindruck wird ersetzt, bevor sich die Augen tatsächlich bewegen. Die Person glaubt somit, dass sie den Ball bereits genau erkennen kann, obwohl das noch nicht der Fall ist.

Die Psychologen belegen ihren Ansatz mit Eyetracking-Experimenten. Mit der Eyetracking-Technik lassen sich Blickbewegungen mit Hilfe einer speziellen Kamera präzise messen. Die Kamera nimmt 1000 Bilder pro Sekunde auf. Die Wissenschaftler haben in ihren Experimenten schnelle sprunghafte Augenbewegungen (Sakkaden) von Versuchspersonen aufgezeichnet. Unbemerkt von den meisten Versuchsteilnehmern wurden dabei bestimmte Objekte während der Blickbewegung verändert. Das Ziel war, dass die Testpersonen bislang unbekannte neue Verknüpfungen von außerfovealen und fovealen, also von unscharfen und scharfen Seheindrücken erlernen. Anschließend wurden die Personen gebeten, visuelle Merkmale von außerfovealen Objekten anzugeben. Das Ergebnis: Die Verknüpfung eines unscharfen Seheindrucks mit einem scharfen Seheindruck kam bereits nach wenigen Minuten zustande. Der unscharfe Seheindruck wurde den neu erlernten scharfen Seheindrücken ähnlicher.

„Die Experimente zeigen, dass unser Seheindruck wesentlich von gespeicherten Erfahrungen in unserem Gedächtnis abhängt“, sagt Arvid Herwig. Laut Herwig und Schneider dienen diese Erfahrungen der Vorhersage zukünftiger Handlungseffekte („Wie würde die Welt nach einer weiteren Blickbewegung aussehen“). Oder anders formuliert: „Wir sehen nicht die aktuelle Welt, sondern unsere Vorhersagen“.

Originalveröffentlichung:

Arvid Herwig, Werner X. Schneider: Predicting object features across saccades: Evidence from object recognition and visual search. Journal of Experimental Psychology: General, http://dx.doi.org/10.1037/a0036781, erschienen im Oktober 2014 (Print-Ausgabe).

Weitere Informationen im Internet:
www.uni-bielefeld.de/psychologie/ae/Ae01

Zehn-Jahres-Frist bei Kreditbearbeitungsentgelten

VZ/NRW    Ein für Kreditnehmer positives Urteil hat heute der Bundesgerichtshof (BGH) gefällt. Die Richter in den roten Roben entschieden, dass Bankkunden ungerechtfertigt kassierte Bearbeitungsentgelte bei Krediten bis zu zehn Jahre rückwirkend zurückfordern können (Az.: XI ZR 348/13 und XI ZR 17/14).

Hintergrund: Im Mai hatte der BGH Bearbeitungsentgelte bei Verbraucherdarlehen für unzulässig erklärt (Az.: XI ZR 405/12 und Az.: XI ZR 170/13). Sie stellten kein Entgelt für eine gesonderte Leistung dar und dürften deshalb nicht verlangt werden. Auch seien die Banken und Sparkassen aufgrund gesetzlicher Pflichten gehalten, die Bonität des Darlehensnehmers zu prüfen. Die dafür vom Kunden zu erbringende Gegenleistung sei allein der zu zahlende Zins. Ein gesondertes Entgelt für vorbereitende Tätigkeiten halten die obersten Richter nicht für zulässig.

Folge des Urteils ist, dass Darlehensnehmer, die in der Vergangenheit ein solches Entgelt gezahlt haben, gegenüber ihrem kreditgebenden Institut einen Erstattungsanspruch haben. Dazu müssen sie die gezahlten Bearbeitungsentgelte zurückfordern. Hilfe dabei bietet ein kostenloser Musterbrief der Verbraucherzentrale NRW im Internet.

Streit gab es danach noch um die Frage, wann der Anspruch auf Rückzahlung  verjährt. Während die Geldinstitute eine kurze Verjährungszeit von drei Jahren nach Kenntnis von der Zahlung des Bearbeitungsentgelts annahmen, gingen Verbraucherschützer – und auch einige Gerichte – von einer Kenntnis erst ab 2011 aus.

So sahen es nun auch die obersten Richter. Es sei den Kunden wegen der unklaren Rechtslage erst ab Ende 2011 zumutbar gewesen, Klage auf Rückzahlung des Bearbeitungsentgelts zu erheben. Dies bedeutet, dass zumindest alle nach dem 1. Januar 2005 gezahlten Bearbeitungsentgelte noch nicht verjährt sind. Zum 31. Dezember 2014 wird aber eine Vielzahl der Erstattungsansprüche verjähren.

Betroffene Kunden sollten daher umgehend fachkundigen Rat einholen und prüfen lassen, wann eigene Ansprüche verjähren. Verjährungshemmend wirkt beispielsweise die Erhebung einer Klage. Ein einfaches Schreiben an die Banken oder Sparkassen reicht nicht.

Sind Crash-Diäten besser als ihr Ruf?

Bringen Crash-Diäten doch Erfolge? Aktuelle Pressemeldungen sprechen Blitzdiäten von der Kritik frei. Doch die Argumentation hat einen grundlegenden Haken.

Denn als Grundlage für ihre Berichterstattung greifen die Autoren eine kürzlich veröffentlichte australische Studie auf. Diese ging der Frage nach, ob langsames oder doch schnelles Abnehmen auf lange Sicht erfolgsversprechender ist. Übergewichtige, die eine niedrigkalorische Formula-Diät einhielten, verloren in der Tat schneller und mehr Gewicht als Teilnehmer, die auf langsamem Weg versuchten abzunehmen. Langfristig betrachtet fiel es allerdings allen Teilnehmern schwer, das erreichte Gewicht zu halten. Für einen dauerhaften Erfolg ist eine Ernährungsumstellung weiterhin unumgänglich.

Der Knackpunkt daran ist jedoch, dass Formula-Diäten wenig mit den sogenannten Crash-Diäten gemeinsam haben. Formula-Diäten sind eine etablierte Methode in der Adipositastherapie, die unter fachkundiger Anleitung besonders stark adipöser Menschen beim Abnehmen helfen soll. Durch die genau definierte Nährstoffzusammensetzung der Shakes, Suppen und Riegel fällt es vielen Übergewichtigen leichter, ihre Kalorienaufnahme effektiv zu senken. Im Gegensatz zu vielen Crash-Diäten, die sich meist auf wenige Lebensmittelgruppen fokussieren, liefert die Formula-Kost weitgehend ausreichende Mengen an Eiweißen, Vitaminen und Mineralstoffen.

Einen Mehrwert für andere niedrigkalorische Diätvarianten und insbesondere für die zweifelhaften Crash-Diäten lässt sich aus der zitierten Studie jedoch beim besten Willen nicht ableiten. Um gesund und nachhaltig Gewicht zu verlieren, ist von diesen weiterhin abzuraten. Wer hingegen mithilfe einer Formula-Diät rasch abnehmen möchte, sollte sich bestenfalls von einem Ernährungstherapeuten unterstützen lassen.

Tipps für die bewusste Ernährung nach einer erfolgreichen Gewichtsreduktion liefert unsere Ernährungspyramide „Bewusste Ernährung“, deren einzelnen Stufen in der Rubrik „Unser täglich Brot“ unter www.fet-ev.eu erklärt werden.

Quelle: Purcell et al.: The eff ect of rate of weight loss on long-term weight management: a randomised controlled trial. Lancet Diabetes Endocrinol: 2014 [Abstract]

 Redaktion: Dipl.troph. Christine Langer

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