Systemische Entzündungsforschung

Wissenschaftler vom Zentrum für Infektiologie und Entzündungsforschung Lübeck (ZIEL) der Universität zu Lübeck arbeiten an der Fragestellung, wie das Immunsystem Antigen-spezifisch aktiviert werden muss, um entweder eine bestmögliche starke T- und B-Zellantwort gegen Pathogene zu induzieren (Vakzinierung) oder im Gegenteil eine supprimierende T- und B-Zellantwort auszulösen, um z.B. Allergien oder Autoimmunität Antigen-spezifisch zu inhibieren (Toleranztherapie).

Koordiniert von Prof. Marc Ehlers vom Lübecker Institut für Systemische Entzündungsforschung wurde zusammen mit Wissenschaftlern vom Deutschen Rheuma-ForschungsZentrum, dem Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie und der Charité in Berlin und von der Georgia Health Sciences University in Augusta, USA, herausgefunden, warum T-Zell-abhängige Vakzinierungen einen viel besseren Schutz induzieren könnten als T-Zell-unabhängige Vakzinie.

Der Erfolg bei der Entwicklung von Vakzinen wird vor allem daran gemessen, ob das Vakzin nachweisbare Immunglobulin G (IgG) Antikörper im Blut induziert und wie viele. Bei einem niedrig induzierten IgG-Titer wird eine zweite oder sogar dritte Impfung (Boost) empfohlen.

Zur Verhinderung z.B. einer Pneumokokken Infektion gibt es zwei Impfstoffe, einen T-Zell-unabhängigen Impfstoff mit verschiedenen Polysacchariden von Pneumokokken und einen T-Zell-abhängigen Impfstoff bei dem die Polysaccharide an ein Trägerfremdprotein gekoppelt sind. Beide Impfstoffe können Polysaccharid-spezifische B-Zellen aktivieren, so dass diese Polysaccharid-spezifische IgG-Antikörper produzieren.

Der Unterschied zwischen beiden Impfstoffen liegt darin, dass das T-Zell-abhängige Vakzin zusätzlich Fremdprotein-spezifische T-Zellen des Immunsystems aktiviert, die dann wiederum einen starken Einfluss auf die aktivierten B-Zellen nehmen. In den letzten Jahren ist der Erfolg einer T-Zell-unabhängigen Vakzinierung gegen Pneumokokken immer wieder in die Kritik geraten.

Die Wissenschaftler haben nun in Mausexperimenten herausgefunden (Hess C et al, J. Clinical Invest. 2013), dass nur T-Zell-abhängige Immunisierungen pathogene IgG-Antikörper induzieren können. Die Forschungsergebnisse basieren auf der Erkenntnis, dass das Muster der Verzuckerung von IgG-Antikörpern deren pathogene oder immunsuppressive Funktion bestimmt (Abb. 1). Nur T-Zell-abhängige Immunisierungen mit Protein + Adjuvans haben pathogene, entsprechend verzuckerte IgG-Antikörper induziert. T-Zell-unabhängige Immunisierungen, ob mit oder ohne Adjuvans, haben stattdessen sialylierte, immunsuppressive IgG-Antikörper induziert.

„Die induzierte IgG-Glykosylierung spiegelt damit den Erfolg einer Immunisierung wieder und stellt damit für die Zukunft einen wichtigen Parameter für die Entwicklung und Überprüfung von Vakzinen dar“, kommentiert Prof. Ehlers. „In Zukunft sollen diese Erkenntnisse an vakzinierten Personen verifiziert werden.“

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Hess C, Winkler A, Lorenz AK, Holecska V, Blanchard V, Eiglmeier S, Schoen A-L, Bitterling J, Stoehr AD, Petzold D, Schommartz T, Mertes MMM, Schoen CT, Tiburzy B, Herrmann A, Köhl J, Manz RA, Madaio MP, Berger M, Wardemann H, and Ehlers M. T cell-independent B cell activation induces immunosuppressive sialylated IgG antibodies. J. Clinical Invest. 2013; doi:10.1172/JCI65938.

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen

Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED) wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa verursachen chronischen Durchfall und krampfartige Bauchschmerzen, die die Lebensqualität der Betroffenen stark einschränken. In Deutschland geht man davon aus, dass mittlerweile mehr als 500.000 Patienten an CED leiden.

Trotz großer Forschungsanstrengungen sind CED derzeit nicht heilbar, insbesondere auch aufgrund unzureichender Kenntnis der Krankheitsursachen. Eine seit langem bestehende Hypothese besagt, dass der bei CED-Patienten häufig auftretende Energiemangel in Epithelzellen der Darmschleimhaut maßgeblich für das Versagen der Barrierefunktion des Darms ist. Auf diese Weise wird das Eindringen von Bakterien in die Darmwand begünstigt, welches zu einer chronischen Entzündungsreaktion führt.

Als eine Ursache für den intestinalen Energiemangel wird seit langem eine Funktionseinschränkung in den Kraftwerken der Zelle, den Mitochondrien, diskutiert. Allerdings konnte dieses bisher experimentell noch nicht bewiesen werden.

Eine aktuelle Studie, die von einem Lübecker Forscherteam initiiert und in diesen Wochen in der renommierten Fachzeitschrift „Gastroenterology“ veröffentlicht wird, konnte nun erstmals an Mäusen zeigen, dass Genvariationen in Mitochondrien den Energiestoffwechsel in Epithelzellen des Darms beeinflussen.*) Damit verbunden war die Ausprägung einer experimentell erzeugten Darmentzündung in denjenigen Mäusen, die besonders hohe Level des Energieträgers ATP aufwiesen, gegenüber Kontrollmäusen deutlich abgeschwächt.

Als mögliche Folge eines erhöhten ATP Levels im Darm konnten die Wissenschaftler zudem das Vorliegen einer verbesserten Regenerationsfähigkeit von Darmepithelzellen identifizieren. „Diese ist wiederum entscheidend dafür, wie gut ein Organismus sich von dem Einfluss schädlicher Nahrungsbestandteile oder Krankheitserreger erholt“, so der Erstautor der Studie Dr. Florian Bär aus der Medizinischen Klinik I.

Interessanterweise tritt eine reduzierte Regenerationsfähigkeit von Darmepithelzellen auch häufig bei CED-Patienten auf, was die Frage aufwirft, ob Genvariationen im mitochondrialen Genom ursächlich sind. Diese Fragestellung wird aktuell anhand einer Folgestudie bearbeitet, die derzeit an der Medizinischen Klinik I läuft. Hierzu werden in enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Medizinische Statistik sowie der Klinik für Dermatologie u.a. genetische Daten von über 3000 Patienten mit CED ausgewertet.

Mitarbeiter dieser Institutionen sind zudem Partner im intrauniversitären Forschungsverbund „Mitochondriale Dysfunktion bei komplexen Erkrankungen“, welcher 2012 mit dem Ziel gegründet wurde, den Einfluss mitochondrialer Funktionsstörungen nicht nur im Rahmen von CED, sondern auch von Koronarer Herzerkrankung, blasenbildenden Hauterkrankungen oder von chronischen Chlamydieninfektion zu untersuchen. Laut verantwortlichem Studienleiter Priv.-Doz. Dr. med. Christian Sina hätte es die die aktuelle Veröffentlichung nicht ohne dieses sogenannte Juniorcluster gegeben, da der Arbeitsaufwand und das breite Methodenspektrum für eine einzelne Arbeitsgruppe kaum zu bewältigen wäre.

Neben den Mitgliedern des Juniorclusters waren noch Lübecker Wissenschaftler aus dem Institut für Anatomie und dem Institut für Systemische Entzündungsforschung beteiligt.
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*  Mitochondrial Gene Polymorphisms That Protect Mice from Colitis.
Bär F, Bochmann W, Widok A, von Medem K, Pagel R, Hirose M, Yu X, Kalies K, König P, Böhm R, Herdegen T, Reinicke AT, Büning J, Lehnert H, Fellermann K, Ibrahim S, Sina C.
Gastroenterology. 2013 Jul 18. doi:pii: S0016-5085(13)01043-3. 10.1053/j.gastro.2013.07.015. [Epub ahead of print] PMID:23872498

Geschmack ist nicht alles: Lebensmittelauswahl im Alltag

Nicht alles, was auf dem Teller landet, ist auch das was am besten schmeckt. Dieses Ergebnis erbrachte eine repräsentative Studie der Dr. Rainer Wild Stiftung in Heidelberg. Die Auswertung von 1.000 Telefon-Interviews ergab, dass 81 Prozent der Befragten Lebensmittel und Speisen essen, die nicht ihrem persönlichen Geschmack entsprechen. 40 Prozent dieser Teilnehmer hören auch dann nicht mit dem Essen auf, wenn es nicht schmeckt, sondern essen alles oder einen Großteil der Speise. Auch bei der Frage nach den drei wichtigsten Kriterien bei der Lebensmittelauswahl, nannten nur circa sechs Prozent der Teilnehmer den Geschmack. Spitzenreiter waren hier Frische, gesundheitliche Aspekte und der Preis.

Geschmack ist also nicht das wichtigste Kriterium für die Lebensmittelauswahl. Im Alltag entscheiden häufig andere Kriterien. Um den Koch, zum Beispiel den Partner oder einen Freund nicht zu kränken oder aus ökonomischen Gründen, wird der Teller oftmals leer gegessen, auch wenn es nicht schmeckt. Anstatt das Lieblingsgericht zu wählen, führen gelegentlich gesundheitliche Aspekte dazu, zu einer weniger schmackhaften Speise zu greifen. Fertigprodukte werden oftmals aus zeitlichen Gründen gewählt, auch wenn sie geschmacklich schlechter abschneiden als die selbst zubereiteten Alternativen.

Karolin Höhl und Dr. Lisa Hahn von der Dr. Rainer Wild Stiftung fassen zusammen: „Die vorliegende Studie verdeutlicht einmal mehr, wie komplex das Essverhalten und damit verbunden die Auswahl von Lebensmitteln und Speisen ist. […] Es wäre interessant zu untersuchen, ob eine Reflexion der persönlichen Geschmacksbedeutung und der eingegangenen Kompromisse zu einer nachhaltig gesünderen Ernährung oder einem Rückgang der Lebensmittelverschwendung führen könnte.“

Annalena Schraut, www.aid.de

Weitere Informationen:

Fachzeitschrift „Ernährung im Fokus“, Ausgabe 1-2/2013, www.aid.de/fachzeitschriften/eif/eif.php

Wirtsgenom steuert Hautflora und Entzündung

Zahlreiche neuere Studien haben einen Zusammenhang zwischen der Darmflora und verschiedenen Erkrankungen wie zum Beispiel Adipositas bei Diabetes gezeigt. Doch über die Regulierung der Zusammensetzung von Haut- und Darmflora ist bisher wenig bekannt. Professor John Baines, Saleh Ibrahim und ihre Kolleginnen und Kollegen des Exzellenzclusters Entzündungsforschung („Inflammation at Interfaces“) haben nun herausgefunden, dass die Zusammensetzung der Hautflora vom Wirtsgenom gesteuert wird und dass Hautbakterien einen größeren Einfluss auf entzündliche Erkrankungen haben als bisher angenommen wurde.

Prof. Dr. Saleh Ibrahim © Universität Lübeck
Prof. Dr. Saleh Ibrahim
© Universität Lübeck

Ihre bahnbrechenden Forschungsergebnisse ebnen den Weg zur Identifizierung von Genvarianten, die die Hautflora beeinflussen, sowie zur Präzisierung ihrer Verbindung zu verschiedenen Erkrankungen wie zum Beispiel entzündlichen Hautkrankheiten. Die Studie wurde am 17. September 2013 in der Online-Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht.

Der menschliche Körper weist mehr Bakterien als menschliche Zellen auf. Die meisten dieser Bakterien umfassen sowohl die normale Darm- als auch die Hautflora. Die Anfälligkeit für chronisch-entzündliche Erkrankungen wird von immungenetischen und umweltbedingten Risikofaktoren bestimmt, die mikrobielle Besiedlungen einschließen. Ob diese Unterschiede von primär ursächlicher Bedeutung oder der veränderten Entzündungsumgebung untergeordnet sind, bleibt weitgehend unbekannt.

© Universität Lübeck
© Universität Lübeck

Die Entzündungscluster-Forschungsgruppen unter der Leitung von Saleh Ibrahim, Universität zu Lübeck, und John Baines, Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie und Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, setzten die Genomvariationen hunderter Mäuse, die zum Teil entzündliche Hauterkrankungen ausbilden, mit der Hautflora in Beziehung. Sie konnten im Mäusemodell bei einer durch Autoantikörper verursachten entzündlichen Hauterkrankung nachweisen, dass Wechselwirkungen zwischen Wirtsgenomen und Mikrobiota das Erkrankungsrisiko erhöhen. Darüber hinaus konnten sie genetische Loci identifizieren, die zu Variabilität der Hautflora, zur Anfälligkeit für Hautentzündungen und ihrer Überlappung beitragen. Die Mehrzahl der identifizierten mikrobiellen Besiedlungen zeichnet sich durch abnehmende Häufigkeit bei einem erhöhten Erkrankungsrisiko aus, ein Nachweis für deren vorrangige Rolle bei der Krankheitsvorbeugung.

Diese Erkenntnisse bieten ein vielversprechendes Potenzial zur Verwendung dieser probiotischen Spezies für die Entwicklung vorbeugender und therapeutischer Behandlungen. John Baines hierzu: „Es scheint, dass die Hautflora ein Phänotyp ist, der teilweise von Variationen des Wirtsgenoms gesteuert wird. Dies wiederum begünstigt die Entwicklung der Erkrankung. Je mehr wir über diese Wechselwirkungen in Erfahrung bringen, desto mehr Möglichkeiten haben wir für bessere und individualisierte Behandlung und Vorbeugung entzündlicher Hauterkrankungen.“

Die Ergebnisse der Studie sind zurzeit verfügbar auf dem Webauftritt der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications:
Genome-wide mapping of gene-microbiota interactions in susceptibility to autoimmune skin blistering. DOI: 10.1038/ncomms3462

Der Exzellenzcluster „Inflammation at Interfaces“

Der Exzellenzcluster Entzündungsforschung („Inflammation at Interfaces“) verfolgt einen einzigartigen interdisziplinären Forschungsansatz, um die Ursachen chronischer Entzündungen zu entschlüsseln und Therapien dagegen zu entwickeln. Die Forschungsgemeinschaft bringt die Kompetenzen von etwa 300 Forschenden aus Genetik, Biologie, Ernährungswissenschaften und Medizin der Universitäten Kiel und Lübeck, des Forschungszentrums Borstel und des Max-Planck-Instituts für Evolutionsbiologie in Plön zusammen.

Allein in Deutschland leiden Millionen Menschen an chronischen Entzündungen der Lunge (Asthma), der Haut (Psoriasis) und des Darms (Morbus Crohn). Auslöser ist eine Störung des Immunsystems: Es aktiviert unaufhörlich Entzündungsmediatoren und Abwehrzellen, wodurch gesundes Gewebe zerstört wird. Die Zahl der Leidenden steigt Tag für Tag. Dieses Phänomen der modernen Zivilisation ist zur Herausforderung für die Medizin im 21. Jahrhundert geworden. Dementsprechend haben die Bundesregierung und die Deutsche Forschungsgemeinschaft im Jahre 2007 die Entschlüsselung des komplexen Entzündungsmechanismus zum nationalen wissenschaftlichen Schwerpunkt erklärt.

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